Samstag, 17. November 2012

DB-027 (11) (Wir hatten damals beide diese Kaffeehausmanie)

Wir hatten damals beide diese Kaffeehausmanie: Da sitzt du, wie auf dem Präsentierteller, in einem weichen ledernen Pfuhl mit dem Rücken zur Wand, hinter dir ein Spiegel bis zum Plafond, in den du aber nicht schaust. Du weißt: Er spiegelt sie alle, die da hereintreten, an dir vorbeidefilieren, auf der Suche nach einem Platz, der ihnen das gleiche Gefühl vermittelt. Und du genießt es, daß sie vorher dich, dann hinter dir den Spiegel und schließlich (einen Augenblick, der sie zutiefst verunsichert), sich selbst sehen müssen als Spiegelung, deren Flüchtigkeit sie starr werden läßt.

Du genießt es, gegen die sich dehnende Zeit und das Unangenehme, das bevorsteht, deine übliche Gedankenvertreibung zu setzen, dein Doppelspiel mittels unauffälliger Muskelarbeit. Während überm Tisch die Grüne Blatt-Lektüre, der Grüne Blatt-Tratsch (damit fühlten wir uns damals ungeheuer elitär!) nach den jeweils kurzen Unterbrechungen durch die Neuankömmlinge fortgesetzt wird, erhitzt du dich (absichtlich nebenbei) durch unmerkliche Stellungsveränderungen so lang, bis die Hitze auseinanderzufließen beginnt, aufsteigt.

Du genießt es, so unauffällig deinen Kaffeehausnachmittag oder -abend zu strukturieren, über halbe Stunden, Stunden hinweg, durch eine Abfolge von Lesehappen, Satzverflechtungen, Aufschauen, Lächeln, Spannen, Loslassen, Abflachenlassen, Anstauen, Auf-die-Spitze-Treiben. Du genießt es, diese Öffentlichkeit zu deinen Intimitäten zu mißbrauchen, steigerst den Mißbrauch durch die Zeugenschaft einer vielleicht wirklich unwissenden, vielleicht auch mit eben solchen Parallelaktionen beschäftigten Vertrauten, wie du Zuschauerin und Aktrice zugleich.

Wenn damals ein Orgasmus nicht mehr zu verhindern war, schickte ich Amanda einfach aufs Klo oder zum Telefon, von wo sie mit neuer Nahrung für ihre Schwärmereien von Bernard zurückkehrte. Daß sie mir schließlich ihre Briefe an ihn, die sie niemals abschickte, zu lesen gab, ließ mein schwaches Interesse in ein erstes Treffen mit diesem Mann ausarten, der sofort sehr geschickt seine Erfahrung einsetzte, um die gemeinsamen Spaziergänge immer näher an die elterliche Wohnung heranzuführen und mich dort (als die Eltern über Pfingsten verreisten) in meinem eigenen Bett zu entjungfern.

Das zusätzlich Aufreizende waren die Verschleierungsmanöver nach allen Seiten, die mich aber in immer größere Abhängigkeit von Bernard und seiner Lebensführung brachten, was meinem Vater nicht verborgen bleiben konnte. Durch seine eifersüchtigen Gegenmaßnahmen steigerte er mein Unglück so ins Maßlose, daß ihm ein längerer Aufenthalt in der französischen Schweiz als das einzig sinnvolle Heilmittel erschien. Dort sollte ich, beschützt von Oskar, auf andere Gedanken kommen, Geld verdienen, meine Französischkenntnisse erweitern.

Die Aussicht auf ein Wiedersehen mit meinem Onkel ließ mich schließlich nachgeben. Aber dieser ist anfangs gar nicht in Genf gewesen, weshalb ich (aus Rache für alles, was mir Männer bisher angetan hatten) dem Haushaltsvorstand meiner Au-pair-Familie zwar heftig schöne Augen machte, jeden Annäherungsversuch jedoch genauso heftig zurückwies.

Freitag, 16. November 2012

DB-026 11 (Meinen Aktivitätsdrang am Morgen kennst du)

11

Meinen Aktivitätsdrang am Morgen kennst du (allerdings hast du Sitzungen vor neun immer siegreich zu verhindern gewußt). Während Stefan sich noch herumwälzt, seinen immer schwerer werdenden Arm nicht von meiner Schulter nimmt, will ich gleich aufstehen, meine Klarheit festhalten, meine Alptraumreste mit einem starken Kaffee wegspülen. Weg mit den Reflexionen, die nur in Wehleidigkeit münden, weg mit dem Wunsch nach dem Entgangenen! Heute kehren meine Verwandten zurück; damit ist unsere zweisame Einsamkeit in ihrer Wohnung zuende.

Noch im Halbschlaf hat Stefan seine Bedürfnisse befriedigen können: Ich hab ihn eindringen lassen, ohne ein romantisches Vorspiel zu fordern oder gar eine brünstige Eroberung der Zitadelle Lena, die sich ja, wie du weißt, äußerst schwertäte, energische Abwehrmaßnahmen zu ergreifen.

Da hast du deine Verdienste: Wenn ein Mann aufgetaucht ist, der sich eingebildet hat, mir Stefan austreiben zu müssen (mit einer verbissenen Beharrlichkeit, einer abscheulich gesteigerten Bedürftigkeit nach gerade meiner Zärtlichkeit, was mich eingestandenermaßen immer so schwach, so gefährdet macht), hast du mir den Rücken gestärkt, mir das Ergebnis eines solchen Abenteuers vor Augen gehalten (ohne viel Rücksicht auf meine letzten Endes gegen mich selbst gerichteten Gelüste zu nehmen, ohne meine selbstzerstörerischen Unterwerfungs- und Entgrenzungssehnsüchte zuzulassen).

Jetzt schulde ich mir (und auch Stefan) eine wohlüberlegte Aufeinanderfolge von Handlungspartikeln: Badezimmer, Dusche, schnelles Abtrocknen, Ins-Kleid-Schlüpfen, In-die-Küche-Gehen, Wasser-Hinstellen, Kaffee-Reiben. Auch die Eier werden pünktlich und richtig fertig, aber Stefan, ein Häufchen Widersprüche am Küchentisch, will keines, obwohl sonst nicht viel zu essen vorhanden ist.

Während des Frühstücks gebe ich mir freiwillig erneut das Stichwort Genf, zur Ermunterung meines ausgelaugten Wirrkopfs. In Genf, als ich das erste Mal 1962 dort gewesen bin, hätte ich von einer schweren Krankheit, der quälenden Liebe zu einem bedeutend älteren Franzosen (er war Lehrer am Lyzeum) geheilt werden sollen.

Mein Vater hatte (und das nicht zum ersten Mal) recht gewaltsam und (so beteuerte er jedenfalls) nur zu meinem Vorteil in meine Liebesverhältnisse eingegriffen, nachdem ich auf einmal weder aus noch ein gewußt habe. Denn der Liebhaber war (wie nachher noch öfters) verheiratet, hatte Kinder, eine Hexe als Frau (die dann doch kurze Zeit meine Freundin wurde, ohne vom Charakter meiner Beziehung zu ihrem Mann etwas zu ahnen: ein spannender Zeitvertreib, der die bitteren Stunden des Studiums versüßen half).

Alles in allem: ein unsagbar melodramatischer Film mit allen Ingredienzien, die die Hoffnung auf ein Happy-End wachhalten, obwohl die unausweichliche Tragödie schon in der ersten Sekunde der Begegnung durchscheint. Angefangen hat alles damit, daß meine Schulkollegin Amanda mir erzählte, sie sei in einen gewissen Bernard erschreckend unheilbar verliebt.

(Die Berliner Entscheidung, Residenz Verlag, 1984)

Mittwoch, 14. November 2012

DB-025 10 (Irgendwann wacht Stefan auf)

10

Irgendwann wacht Stefan auf, hört Lena neben sich atmen, kommt nicht klar, Fleischfetzen, Mehlreste, Blutspritzer, jemand hat etwas gesagt, aber wer?, mit welcher Stimme?, und Lenas Atem ist kein Schlafatem, vielleicht also sie?, Lena bewegt sich, sucht die Uhr, drückt einen Knopf hinein, um das Zifferblatt zu beleuchten, aber die Batterie ist leer, sie tastet nach der Nachttischlampe und knipst sie an: 4.11 Uhr, das Licht erlischt sofort wieder, Stefan spürt Lenas Hände, er hält einen Moment erschrocken den Atem an, Oskar tastet nach ihm mit schleimigen Händen, Lenas Schleim an seinen Händen, sie hat ihn ausgestoßen, und Oskar jammert wie ein Kind, erstaunlicherweise über Zensur, daß die Briefzensur hier die westlichen Meinungsumfragen ersetze, jemand lacht, Lena schmiegt sich an Stefans Rücken, wer hat gelacht?, ihre Hände fahren seine Hüften entlang, die Briefzensur ist computerisiert, Oskar lacht, Eifersucht schnürt Stefan den Hals zusammen, Stichwörter, und du erhältst die neueste Stimmung im Osten ausgedruckt, Stefan fröstelt, zieht sich die Tuchent über die Schultern, Lenas Hände stoßen zu seinem Bauch vor, Stefan atmet aus und dreht sich Lena mit einem Ruck zu, ihre Finger kreisen seinen Nabel ein, Erektion, er stützt sich auf seine Ellbogen, um sich über Lena beugen zu können, die ihm sofort den Adamsapfel abschleckt, den Unterleib entgegenreckt, sodaß er Oskar wegstößt, da in die weichen, samtenen, pulsierenden Höhlungen hineinfällt, emporgehoben wird, sich darin verknäuelt, verknäueln läßt, Lenas Unterleib schnalzt und schmatzt, Oskar zeigt sich voller Würmer, zerfressen, mehlig, blutig, verschimmelt, ein verwest glitzernder Leib, der sich in der hintersten Ecke, unter den Kohlen in der Küche mit dem Kohlenstaub mischt, und jetzt schiebt sich das Bild Julias vor das dieser Frau, der Körperteile dieser Frau, die sich da um ihn herum bewegen, ihn umkreisen und zum Selberkreisen bringen, die kreisenden, pulsierenden Körperteile unter ihm setzen sich zur blassen Gestalt Julias zusammen, der schwarze Kopf Lenas erhält das flimmernde Gesicht Julias, und Stefan hört ihre Stimme, hauchdünn: Der Ku-uß, der Ku-uß, er hört Lenas stoßweises Atmen, und darüber, in Obertönen: Der Ku-uß, der Ku-uß, während Lena, immer eindringlicher flüsternd, den Bettspalt vermeiden will, bis Stefan endlich begreift, ihren Schlangenbewegungen folgt, sich an sie klammernd, damit er sie nicht verliert, sie nicht ihn, damit er ihr, von oben, in den ihm entgegengestreckten Spalt zwischen den zusammengepreßten Beinen stoßen kann, aber Lena führt ihn, und er läßt sich führen, er nützt ihre Führung zur Entspannung, entspannt in den Armmuskeln, Rückenmuskeln, die Haut übers Fleisch auf den Knochen gespannt, mit aufgestellten Härchen, so neben ihr, gekrümmt, aber mit befreiten Händen kann er diese verzweifelten Kreiselbewegungen durchfuhren, als Ertrinkender, als einer, der sich der Oberfläche dieses mit ihm ringenden Körpers vergewissert, einer, der sich ganz gegenwärtig fühlen will, untergehen in den Bewegungen innen und außen, trotzdem den Kampf gegen die Gegenstände im Kopf durchstehen muß, die sich nicht befehlen lassen, ihr Eigenleben führen, sodaß er plötzlich wieder mitten in der verlogenen Abschiedsszene von Julia steckt, wo er eine Stimme wie die seine hört, die sagt: Der schmeckt, was sich aber nicht auf den Kuchen beziehen kann, der ja zäh und klebrig war und voller Backpulvergeschmack, sondern nur bedeuten kann, daß Stefan sich in Julias Kopf mit einer Zweideutigkeit festsetzen wollte: Julia, zu ihm strahlend aufblickend, hat gefragt: Der Ku-uß?, doch während Stefan darüber in ein Grübeln zu verfallen droht und sich an eine einladende Miene zu erinnern glaubt, fragt jemand mit deutlicher Stimme: Schläfst du?, will ihn an seine reale Situation erinnern, und er sagt: Nein, aber da ist diese schwere, bleischwere Vorlust, die in seinem Kopf wütet, zugleich das Kribbeln unter der Vorhaut, Wasserblase, die kalt und warm ist, die sein Ding zu einem Ballon aufbläst, an dem er hängt, winzig, abhebt von der Erde, ohne Angst, ohne Schmerz, enthoben, es ist vollbracht, und siehe, das Dreieckige Auge inmitten der Stirn dieser Frau, zweifellos Lena, die ihre Zunge herausschnellen läßt wie ein Chamäleon, klebrig, eine Sinnestäuschung, inmitten dieser fleischfressenden Pflanzen, röhrenden Echsen, knapp unter sich verführerisch feuchtklebrige Tropfen, Glitzern, kalter Schauer, Wolkenbruch, der Ballon schrumpft, sinken, fast übel, Raketen, die Nacht taghell ausleuchtend, Erdreich wie im Krieg, rasend schnell näher kommend etwas wie Granattrichter, offene Särge, Hain der erstarrten Toten - aufklatschen, schweißnaß, Hecheln, es dringt in Stefans Ohren, er spürt seinen wirklichen Schweiß auf seiner wirklichen Haut, seine wirklichen schweißnassen Arme, die Lena an sich pressen, bis sie sich entspannt, dehnt, aus allen Poren dampft und stöhnt, hinaus in die zitternde Dunkelheit, in den vorbeirauschenden Zug, hinter dessen Fenster schlaftrunkene Arbeiter hocken, keine Zensur, bei mir nicht, Stefan spürt, er hält durch, er saust, rattert im Rhythmus des Zuges, bis weder Oskar noch Julia ihn bedrängen, nur das Geschrei Lenas, der Schrei, der wie eine Explosion über ihm lastet und er seinen Samen hineinschießt, Versöhnung kurzfristig, distanzlos ohne jede Bedingung mit dem Kind, das er in diesem Moment zeugen könnte, dem Bastard, der schöner und erfolgreicher sein würde als er, ein Kind Julias von ihrem Vater Oskar, nicht eines von Stefan und Lena, aber es wird nicht gezeugt.

Lena sinkt weg, übergangslos in den Schlaf, während Stefan ihren Daumen zwischen seine Hand nimmt und sichs so bequem neben ihr machen will, für eine Weile, fallsjetzt nicht gleich der übliche Kopfschmerz kommt.

(Die Berliner Entscheidung, Residenz Verlag, 1984)

Dienstag, 13. November 2012

DB-024 (9) (Das Stimmengewirr)

Das Stimmengewirr hat nun auch den alleinstehenden Werkzeugmacher aus dem obersten Stock angelockt. Ehemals Nazi wie fast alle älteren Männer hier, sympathisiert er jetzt mit dem nationalen Teil der FPÖ, gibt vor, Mitglied trotz des "roten Drucks" in seiner Firma zu sein, und macht sich bei den alten Frauen im Haus dadurch beliebt, daß er am Wochenende alle anfallenden Arbeiten übernimmt: Er repariert Schlösser, streicht Türen, tauscht Fenster aus, montiert Kästchen und Leuchtstoffröhren trotz seines regelmäßigen Rausches.

Selbst er kann jetzt nicht verhindern, daß ich meinen Mund aufreiße, um sie mit meinem Geständnis zu konfrontieren, das keinen Beifall erwartet: Ich bin Jüdin, Tochter eines österreichischen Juden, der 1938 aus Österreich nach Belgien emigriert, dort von den Hitler-Schergen 1941 gefangengenommen worden und nach seiner Flucht aus einem französischen Anhaltelager dem Widerstand beigetreten ist, Wehrkraftzersetzung als vermeintlich elsässischer Übersetzer zu seinem gefährlichen Geschäft gemacht hat, immer nur durch dumme Zufälle und dreiste Lügen einer Verhaftung, Deportation und der Vergasung entkommen ist. Gerade als seine Nachkommin habe ich eine Lebensberechtigung.

Du siehst ihre verständnislosen Gesichter, ihre unglaublich bornierten Mienen, ihr wegwerfendes Achselzucken, du hörst ihr aufgestört-drohendes Murmeln, und du weißt (wie ich), wieviel es geschlagen hat: Verärgert taumeln sie in ihre Wohnungen zurück. Jeder hat sein Leid, jeder hat genug zu tragen an der Last, die sich im Lauf der Jahre angesammelt hat. Niemand kann helfen, niemand ist für den andern verantwortlich, niemand interessiert sich für die Folgen der Geschichte.

Du wirst es jetzt einsehen müssen: Das Resultat einer solchen Aufwallung wäre nur eine Steigerung meiner Angst ins Maßlose. Ich kann mein Trauma, meine Stigmatisierung durch eine solch einfache Handlung nicht auslöschen. Im Gegenteil: Ich könnte in meine Wohnung nicht mehr zurück, ich müßte mit meinen Habseligkeiten flüchten noch vor Anbruch des Morgens.

Neben mir Stefan. Im Schlaf sein glattes Gesicht, das mich beruhigt. Die langen, dunklen Wimpern auf den Backenknochen, der dunkel nachdrängende Bart, das Zittern seiner Nasenflügel, sein fast lautloser Atem. Seine hellblonde Strähne im sonst dunklen Haar, die zu seinem Ärger nicht zu bändigen ist.

Zum Einschlafpuls Genf. Sehr verwischt die konspirative Buchhandlung Léons, eines alten Freundes von Oskar, gleich neben dem Bahnhof in der Rue Rousseau. Deutlicher Oskars damalige Wohnung in einem Wohnblock am Stadtrand. Helle, kleine, neubauniedrige Räume, helle Möbel. Schmales Vorzimmer, rechts Regale, bis oben vollgepreßt mit Büchern. Von dort aus geht es links ins Schlafzimmer, das gerade noch Platz hat fürs Ehebett und einige Bücher und Zeitschriften auf dem Boden.

Dann die Türen zur Küche und zum Wohnzimmer, das durch einen großen Familienrundtisch aus schwarzbraunem Holz, durch die vier Lampen mit den rotleuchtenden Schirmen und durch das grüne Wuchern der Blattpflanzen vorm Fenster einen bleibenden Eindruck hinterläßt. Der folgende Raum gehört den beiden Töchtern, Beate und der zwei Jahre jüngeren Julia, die damals gerade als behutsam behandelte Rekonvaleszentin nach der Ausheilung ihrer Lungenentzündung Oskars ganze Zuwendung in Anspruch nimmt.

(Die Berliner Entscheidung, Residenz Verlag, 1984)

Montag, 12. November 2012

DB-023 9 (Für dich, liebste Therapeutin)

9

Für dich, liebste Therapeutin, spreche ich jetzt aus (ohne daß es jemand hören kann), worum du mich immer gebeten hast: Ich bin Jüdin, und Julia ist meine jüdische Cousine und Oskar mein jüdischer Onkel, der vor dreizehn Jahren in Genf mein jüdischer Liebhaber gewesen ist. (Ein Satz, in dem dreimal das Wort jüdisch vorkommt, ist eine entsetzliche Prüfung, auch ohne Lauscher.) Natürlich müßte ich jetzt aufspringen, hinauslaufen in den Schneegarten und in die Schneenacht mein Bekenntnis zum Jüdisch-Sein hinausschreien.

Ich sehe, wie du den Kopf schüttelst. Hier hätte das wenig Sinn, ich weiß. Dir zuliebe versetze ich mich also nach Wien, um mich wie jetzt mitten in der Nacht hinauszuwagen auf den Gang des Mietshauses, im Schlafkleid, in eine Strickjacke gehüllt, um fröstelnd den roten Knopf zu drücken, bis das Fünf-Minuten-Licht aufflammt, und dann der Reihe nach alle möglichen Zeuginnen und Zeugen dieses Gewaltakts herauszuläuten: Zuerst die gleich nebenan wohnende achtzigjährige Frau Schüssel, die sorgsam ihr Alter verbirgt, damit ihr niemand gratulieren kann; die sehr liebevoll mit ihrer meist trächtigen Hündin umgeht, aber unflätig auf die jugoslawische Hausbesorgerin schimpft, wenn die Stiege nicht nach ihrem Geschmack gewaschen ist oder das Ganglicht zu früh erlischt; die in einem ständigen Kleinkrieg mit dem Hausherrn begriffen ist, um die oft recht großzügigen Fehler in der alljährlichen Betriebskostenabrechnung zu seinen Gunsten von den Mietern wiederum auf ihn zurückzuwälzen.

Daneben die kleine, rotgesichtige, kurzatmige Frau Gozzi mit ihrem noch kleineren, schwarzhaarigen, nie lächelnden Mann, der immer sehr früh am Morgen mit einer abgewetzten, braunen Aktentasche weggeht und meistens erst nach sechs zurückkehrt. Anschließend ihre etwas jüngere Schwägerin, die meist nur im Schlafmantel anzutreffen ist, bleich und dürr zum Klo huschend. Und am anderen Ende des Gangs der rundliche, verschlagen aussehende Rettungsfahrer, dessen wahre Familienverhältnisse niemand kennt: Es gehen zwei Frauen aus und ein, eine kräftige Schwarzhaarige mit Brille und einem wogenden Mutterbusen und eine mittelgroße Dünnere, oft in Lockenwicklern, immer in Hosen.

Und neben, vor und nach den Frauen laufen keuchend mehrere Kinder, mindestens drei: ein etwa zehnjähriger Bub, der immer Kohlen, Lebensmittel oder eines der drei ungefähr gleich alten Babys über die Stiegen schleppt; ein häufig ihn begleitendes, vielleicht zwei Jahre jüngeres Mädchen; und ein weiterer Bub im Alter von zirka fünf Jahren. Zwischen ihnen und dem gegenüber wohnenden, stets adrett angezogenen, jungen technischen Angestellten, zu dem einmal im Monat eine ältere Frau kommt, um die vier Hoffenster zu putzen und die Vorhänge zu waschen, gibt es keinen Kontakt.

Zu der aufgeregten, immer aggressiver, immer lauter werdenden Versammlung dieser Personen würde sich jetzt auch der pingelige Ingenieur aus dem ersten Stock hinzugesellen, hinter ihm seine meist jung aussehende Frau mit der verlegten Frisur, aufgestört, fast wirr blickend, die ihr Gatte auffordert, sofort zu verschwinden. Und die soeben die Stiegen heraufhastende blonde Fußpflegesalon-Besitzerin herrscht er in barschem Befehlston an, in die Arme eines ihrer meist bedeutend jüngeren Liebhaber zurückzukehren. Davon hält sie aber ihr Sohn, der mit seiner kalkweißen, leptosomen Frau direkt unterm Techniker haust, mit Drohungen gegen den Ingenieur ab, der daraufhin die Polizei holen will (eine Standarddrohung von ihm).

(Die Berliner Entscheidung, Residenz Verlag, 1984)

Sonntag, 11. November 2012

DB-022 (8) (Nicoles Bildphantasie)

Nicoles Bildphantasie entpuppt sich als ein Vorgriff auf die Wirklichkeit. Draußen werden wirklich Spaghetti verteilt, und zwar vor der Suppe, eine sympathische Geste, die zeigt, daß weder Ludwig noch Julia bereit sind, ihr alltägliches Chaos unter den Tisch zu kehren, um dem Besuch aus dem nichtsozialistischen Ausland etwas vorzuspielen.

Dort, an ihrem Tisch, stellt sich Stefan wieder mit den Füßen auf den Boden, beobachtet scharf alle Handbewegungen, Körperdetails, nimmt alle Satz- und Wortfetzen dankbar in sich auf, ohne sich ins Gespräch einzumischen. Er wird auch nicht gefragt. Er läßt sich in einen Kampf mit den DDR-Nudeln verwickeln (er denkt in der Tat: DDR-Nudeln, DDR-Nudeln und DDR-Tomatenmark!), denn die DDR-Nudeln sind genauso pickig wie die Österreich-Nudeln (falls diese nicht in Wirklichkeit BRD-Nudeln oder irgendwelche EWG-Nudeln sind!).

Die DDR-Nudeln quellen. Stefan sticht und rollt und wendet und fischt. Die DDR-Nudeln rutschen. Stefan stopft und schlürft, er streicht mit der Zunge über die Zähne, um die DDR-Nudelreste schleunigst in seinen Schlund zu befördern und für den weiteren Nachschub zu sorgen. Als ihm bewußt wird, daß er im Nudelkampf untergeht, blickt er auf, erhascht einen belustigten Blick Lenas und schneidet eine zurückweisende Grimasse.

Zwischen Julia und Ludwig thront der große Topf, randvoll mit Tomatenmark, aus dem Nicole, die Situation schamlos ausnützend, unersättlich schöpft. Sie frißt, als hätte sie zwei Tage nichts zu essen gekriegt, stellt Ludwig zufrieden fest. Sie läßt sich aber davon nicht irritieren.

Auch der Suppe, die dünn und fast kalt ist, widmet sie sich mit ganzem Herzen. Erst als ein markerschütternder Schrei aus dem Kinderzimmer ertönt, stürzt sie hinaus, ohne sich ihre Tomaten-Hände abzuwischen, und erscheint gleich mit dem Kleinkind, dessen Tränen noch sichtbar sind, das die Zähne aber strahlend bleckt und die Augen zu einem Grinsen zusammenkneift.

Nachdem Nicole ihren Bruder geschwind aus dem Schlafsack geschält und ihm die nasse Windel gewechselt hat, entschließt sich Julia, die Nachspeise auf den Tisch zu stellen. Es ist ein Kuchen, der nicht so geworden ist, wie er hätte werden sollen. Er werde immer nur so, wie er eben werden könne, lacht Ludwig.

Uwe mischt sich mit Ballaballa, seinem Universalwort, ein und schiebt seine Finger durch den Schlitz im Strampelanzug unter die Windel, wovon ihn seine Schwester mit Pfui und Gack abhalten will, was Ludwig amüsiert zurückweist: Er soll ruhig seinen Pimmel angreifen, wenn er will.

Julia beschäftigt noch immer der Kuchen: Die Kirschen auf ihm seien aus Polen, sagt sie mit bedeutungsvollem Gesicht. Stefan faßt das als eine Aufforderung auf, endlich kräftig in die vor ihm liegende Schnitte hineinzubeißen. Julia blickt Stefan an, zum ersten Mal nur ihn, und Stefan schluckt tapfer und trinkt gleich Milch nach, um den penetranten Backpulvergeschmack wegzuschwemmen. Julias Kirschen, denkt er und würgt und schluckt. Julia lächelt.

(Die Berliner Entscheidung, Residenz Verlag, 1984)

Samstag, 10. November 2012

DB-021 8 (Eine ältere Frau)

8

Eine ältere Frau leert gerade Asche in einen Koloniakübel. Kinderspielzeug liegt weit verstreut im Garten rund um das Haus, das Ludwig, neben sich Stefan und Lena, ansteuert. Eine hohe, eigentümlich verwachsene Silbertanne lehnt sich ans Dach und scharrt an der Traufe.

Aus der aufgehenden Tür wächst Julia, anders als auf den Fotos: nicht ein kurzhaariges, schwarzes Köpfchen mit deutlich langer, leicht schiefer Nase, sondern ein Schwall von glänzenden, mehr als schulterlangen Haaren; nicht ein schwarzer, unergründlicher Blick mit dem Widerschein der fotografierenden Lena, sondern ein vertraut erscheinendes Lächeln; kein weiter Hosenanzug, sondern ein enges, zartgeblümtes Kleid über ihrem von der Geburt ihrer Kinder sichtlich unberührt gebliebenen Körper.

Sofort schiebt sich ihre Tochter, die etwa achtjährige Nicole, vor sie und nimmt Stefan für sich in Beschlag, indem sie großspurig erklärt, ihr kleiner Bruder schlafe so fest, daß ihn selbst ein brüllender Tiger oder ein trompetender Elefant nicht aufwecken könne, und zerrt ihn danach ins Kinderzimmer, zu ihren Zeichnungen.

Auf der ersten sieht man Ludwig mit einem so großen Besen vor den Beinen, daß für die Füße kein Platz mehr geblieben ist. Wie der Vater haben auch die bedeutend kleinere Mutter und Nicole selbst einen kirschroten, wie einen Schnurrbart geschwungenen Mund und pompöse Apfelwangen. Dann werden Elefanten, Löwen, Bären hergezeigt, eine ganze Urwaldbelegschaft, alles auf bräunliches Knisterpapier mit spitzem, hartem Bleistift durchgepaust.

Damit auch von Stefan etwas zurückbleibt, fixiert ihn Nicole, mit Elternattributen versehen, auf ein großes Blatt Packpapier: essend, im Kampf mit riesigen Spaghetti, die ihm, für die Zunge unerreichbar, um den Kopf schwirren.

Vom sehnigen, klebrigen Körper des Mädchens auf seinem Schoß denkt sich Stefan hinaus in den anderen Raum, mitten hinein ins gedämpft herüberklingende Gelächter Julias: Da wiederholt er den Begrüßungsblick und hält ihm länger stand, als notwendig wäre für einen aufmerksamen, soeben eingeführten Gast; da weicht er nicht zurück, wenn sie an ihm vorbeistreift (wenn er das Anstreifgeräusch zu einem unüberhörbaren Rauschen verstärkt: Julia rauscht mit den Füßen, den Beinen, mit dem Kleid über ihren Beinen, mit ihren Brüsten, mit ihrem Hals, mit ihrem Kopf, mit ihren Augen, ihren Haaren rauscht Julia vorbei, und jeder Körperteil hat ein ihm eigentümliches Rauschen , nur für ihn, nur in dieser Sekunde unterscheidbar, geheime, nur für ihn bestimmte Botschaft); da dreht er seinen Kopf ihren Körperwendungen nach, in Erwartung eines Reflexes, der ihm den Ansatz eines Einverständnisses signalisiert.

(Die Berliner Entscheidung, Residenz Verlag, 1984)

Freitag, 9. November 2012

Jetzt erschienen

E. A. Richter
Schreibzimmer

100 Gedichte

Originalausgabe
160 Seiten, Hardcover, fadengeheftet, mit Lesebändchen
ISBN 978-3-902113-94-8 € 20,00

https://www.korrespondenzen.at/Richter03.html

https://www.amazon.de/Schreibzimmer-E-A-Richter/dp/3902113944

Donnerstag, 8. November 2012

DB-020 (7) (Ich weigere mich jetzt)

Ich weigere mich jetzt, den dummen Alltag, der da drüben lauert, zu akzeptieren. Er erscheint in Gestalt eines Mannes, der Stefan sein könnte, aber auch ein Einbrecher oder ein Vergewaltiger, einer, der aus dem Irrenhaus davongelaufen ist, oder ein Millionär auf der Flucht vor der Steuerfahndung. Zeig ich dann Interesse für den Millionär, erweist sich das als eine tückische Sinnestäuschung: Stefan grinst mich an, erwartet, daß ich die Beine sofort auseinandergebe (was natürlich nie der Fall war!), daß ich seinen immer sehr ausführlichen Klagen über seine mühsame Existenz als Gelegenheitsarbeiter und ewiger Dissertant, ohne ihn zu unterbrechen, mit mitfühlender Miene anhöre (was natürlich immer der Fall war!).

Auf einmal erinnere ich mich an meine rasenden Kopfschmerzen, an meine schmerzhafte Unentschiedenheit zwischen zwanghaftem Weitermachenwollen und gleichgültigem Fallenlassen. Aber was ist dieser mehr als einen Kopf größere, bei aller Vertrautheit so unvertraute, wieder einmal in einer faltigen, schwarzen Hose, in einem ausgebeulten, schwarzen Pullover steckende, die Ausdünstungen seiner Unzufriedenheit mit sich herumschleppende Mann gegen den von mir (seitdem ich Romane lese) so heftig herbeigewünschten Millionär, der zwar verheiratet ist, gerade deshalb aber imstande, die ganze Hitzigkeit meiner Werbemöglichkeiten herauszufordern?

Ich gebe vor, ein altes, vielräumiges Haus geerbt zu haben, selbst aber nicht über genug Geld zu einer entsprechend großzügigen Renovierung zu verfügen (ich lebe, wie du weißt, mit Stefan in einer unansehnlichen Eineinhalb-Zimmer-Wohnung). Ich gebe vor, im Besitz eines dreihundert Jahre alten Stundenbuchs zu sein, mit dem ich das Interesse des Millionärs auf meine Person lenken kann. Ich lasse mich in einem Korb mit Essen in sein Büro schmuggeln, entsteige diesem vor seinen entgeisterten Augen und beginne ungeniert ein Gespräch mit ihm.

Ich gebe vor, jetzt nichts über ihn zu wissen (er ist Epileptiker, hat in New York einen Filmstar als Frau, die er nie verlassen würde). Es genügt mir, daß ich seine Leibwächter austricksen konnte. Es genügt mir, bis zu seinem Leib hin vorgestoßen zu sein und ungehindert mit einer Einladung zu einem gemeinsamen Essen im besten Restaurant Londons den Salon verlassen zu haben.

Wer wie ich durchs Akademische Gymnasium gegangen ist, kann gegebenenfalls immer mit Latein und Griechisch aufwarten, mit einer Bildung glänzen, die selbst Millionären nicht nur als Marotte erscheint. Es gibt also auch eine helle Seite in meiner Vergangenheit, stelle ich erstaunt fest. Dahinter versteckt sich allerdings eine dunkle, leidvolle mit eigentümlich schillernden Flecken.

So sehe ich jetzt meinen Klavierlehrer, der mir, während ich gelangweilt und nicht sehr routiniert zum x-ten Mal den dritten Satz aus dem Italienischen Konzert von Bach wiederhole, vom weggestreckten Fuß den Schuh entfernt. Ich spiele, er liegt mir zu Füßen, ich spreize die Schenkel, die Uhr des Kirchturms hinter der Schule schlägt dreimal, das Auge des Schulwarts blitzt im Schlüsselloch der Klassenzimmertür, der Klavierlehrer saugt an meinen Zehen.

Ich gebe vor, den Millionär mit Zitaten antiker Schriftsteller beeindrucken zu können. Auf klassisch-humanistischem Boden begründe ich eine unmögliche Klassenliebschaft, aus der sogar eine Schwangerschaft wächst. Auf die Geburt des gemeinsamen Bastards muß dann allerdings der so heroische Verzicht der jungen Mutter die Anwesenheit des Zeugers zugunsten seiner fernen Geschäfts- und Ehetätigkeit folgen.

So endet (scheinbar) eine der Lieben, die von Natur aus unmöglich sind, im Melodrama. Der verbleibende Rest an Hoffnung auf einen guten Ausgang ist als Kunstgriff der mit allen Wassern gewaschenen Autorin zu deuten. Obwohl die Liebe nicht nur eine unerklärliche Macht ist, die die Betroffenen wie ein Wolf nachts überfällt und ins Unglück stürzt, sind es die widrigen Zeitumstände, die den Seelen unauslöschliche Zeichen einprägen und ein Entkommen aus den Verstrickungen nicht gestatten.

Stefan macht sich wieder bemerkbar, diesmal so deutlich, daß ich es hören muß. Ludwig, der Mann Julias, meiner zweiten Ost-Berliner Cousine, will uns in einer Viertelstunde abholen. Die Zeit bis dahin will Stefan noch nützen, um über Oskar zu sprechen.

Wenn die Vergangenheit in der Gegenwart nicht von selbst sichtbar werde, sagt er, dann müsse sie eben hervorgeholt werden. Er beugt sich mit seiner langsamen Penetranz über mich und versucht mein Lebensmaterial zu befingern. Es ist keine freundliche Teilnahme, sondern unverhohlene Neugier, weshalb ich mich, nur mit Mühe meinen Gleichmut bewahrend, weiteren Attacken entziehe, indem ich mich dusche und ankleide.

(Die Berliner Entscheidung, Residenz Verlag, 1984)

Mittwoch, 7. November 2012

DB-019 7 (Eine seltsame Verklärung)

7

Eine seltsame Verklärung: wie hinter Glas die Bewegungen Oskars, Lydias, auch Stefans. So als ob ich sie alle nicht wirklich greifen hätte können, nicht wirklich hören und anschauen. Wie weggewischt die schmerzhafte Deutlichkeit des Wiedersehens mit Oskar nach so vielen Jahren der Trennung, des verborgenen Aufbewahrtseins.

Du hättest diese Situation genossen wie ich (zu solch leichtsinnigen Übertragungen bin ich fähig) - diesen beinahe Sechzigjährigen gegen den anderen, fast fünfundzwanzig Jahre Jüngeren zu halten, der sich so vehement in mein Leben hineingedrängt hat, die Nase immer auf der Spur des Älteren. Wenn ich sage: Ich liebe beide, den möglichen Vater und seinen möglichen Sohn, dann beschreibt das meine Gefühle sehr ungenau. Ich nehme daher einen Raum zuhilfe, das Wohnzimmer in Oskars Wohnung, und weise beiden (fiktiv) einen festen Platz zu, um den Rang ihrer Nähe zu mir zu kennzeichnen.

Stefan nimmst du einige Schritte entfernt von mir wahr, mindestens drei, höchstens fünf. Bei Oskar ist mir die Entfernung egal; er könnte sogar schräg hinter mir stehen, wenn er es wünscht. Wichtig ist, daß Stefan uns beide im Auge behalten, daß auch ich ihn direkt anschauen kann. Wäre da nicht die Eifersucht Stefans (oder Lydias), würde ich Oskar sogar gestatten, sich an mich zu lehnen: So würden wir dann alle drei für ein Erinnerungsbild in Stefans Kamera blicken.

Oskar bewegt sich auf gleicher Höhe, ich muß den Kopf nicht heben. Stefan dagegen (und das ist der Grund der Distanzierung) kann ich aus unmittelbarer Nähe nur betrachten, indem ich den Kopf in den Nacken werfe, eine mir von klein auf eingedrillte Bewegung, deren Winkel sich seither nicht viel geändert hat.

Trotzdem ist mir das Stehen lieber als das Liegen. Denn dieses heißt immer zugleich das jahrhundertelange Auf-der-Couch-Liegen. (Jetzt mußt du wohl lächeln: du hast deine Couch, wie du immer wieder betont hast, vor Jahren verschenk!) Und es mündet nicht in einem Liebesakt, sondern in einem Akt der partiellen Selbstvernichtung, der Selbstbezichtigung, des unweigerlichen Schuldbekenntnisses.

Ich gestehe, ich bin an den Sorgen meiner Eltern schuld, an der Dauerverwirrung Stefans. Ich bin schuld, daß ich mich nirgendwo zuhause fühle, daß ich (wider besseres Wissen) meinen Vater nachahme, daß ich schwach und hilflos zusammenbreche angesichts der Gewalt dessen, was vor und während meiner Geburt das Leben meiner Eltern bestimmt hat. Ich gestehe (doch nur dir, immer wieder, stehend, im Kreis gehend, durch deine Wohnung wandernd), daß ich an meiner ununterbrochenen Fluchtbewegung selbst schuld bin.

Hier, im Haus der Frau König, in der Wohnung meiner Cousine Beate, wird mir bewußt, daß dies auch nur eine kurze Station sein kann, von der ich mir vorher eine gewisse Beruhigung (auch für Stefan) versprochen habe. Ich spiele verschiedene Personen. Ich habe den Bruch in mir, der mich dem einen (zum Beispiel Oskar) warm und liebenswürdig erscheinen läßt, dem andern (zum Beispiel Stefan) kalt und abweisend. Ich lebe in der Welt der Bücher, die ich lese, im Traum der Bücher, die ich übersetze.

Wenn ich von meinem Arbeitstisch aufblicke, aufgeschreckt durch eine Stimme von draußen mich erhebe, dann reißt vor mir der Boden auf, und ich wage nicht, über diesen heiß dampfenden Spalt zu springen. Ich existiere weiter als eine, die sich ständig in den Figuren des Romans, den Beate gerade übersetzt, auf das heftigste widerspiegelt; an der die Fetzen der verschiedensten Charaktere haften bleiben, unfähig zu einer substantiellen Scheidung der Geister.

(Die Berliner Entscheidung, Residenz Verlag, 1984)

Dienstag, 6. November 2012

DB-018 (6) (Vor der Durchreiche)

Vor der Durchreiche lehnt Lena in ihrer blauen Latzhose. Die damalige Lena war nackt, die meiste Zeit, nackt beim Frühstück, nackt beim Lesen und Reden. In dem Raum, den es so nicht mehr gibt, war Lena nackt seinen kalten Augen ausgeliefert, seinen heißen Ohren, seinem Erfahrungsdurst.

Seine Augen, jetzt zu Monstren geworden, starren um die Ecke, haben den bösen Blick. Stefan kann nur den einen Fleck fixieren, der vor Nichtsein blendet; in diese erfüllte, selbstgenügsame Vergangenheit blicken, aus der diese banale Gegenwart wächst.

Dieses fleischige, rötliche Gesicht. Diese randlose, spiegelnde Brille. Äderchen überall. Härchen in den Nasenlöchern. Diese eisgrauen, gescheitelten, in einem demonstrativen Schwung über die Stirn geführten Haare. Kleine, anliegende, gelbliche Ohren mit den roten, fleischigen Läppchen. Diese empfindsam vibrierenden Nüstern. Diese Querfalte am Kinn, die sich mehrmals aufspaltet. Tränensäcke, von der Brille vergrößert. Diese Speichelreste in den Mundwinkeln. Blutspritzer auf der Schürze. Geschwollene Adern an den Händen. Diese glänzende, brüchige Haut um die Finger. Diese doppelte Narbe am Mittelglied des Ringfingers. Mehl unter den Nägeln. Diese graue Hose unter der Schürze. Dieser quellende Körper unter dem gestreiften Hemd.

Etwas vorgebeugt, aber noch immer straff, verbindlich, aber mit Haltung lächelnd kann sich dieser Oskar, der Stefan so viel Vergangenheit voraushat, feinen Spott erlauben, sich in seiner augenblicklichen Banalität in Frage stellen kann, ohne an Autorität zu verlieren. Das Fleisch, sagt er mit leicht heiserer Stimme und einer angedeuteten Verbeugung, sei wohl etwas härter geworden, als er beabsichtigt habe. Er verwende, sagt er, lieber die der Kritik zuvorkommende Selbstkritik.

Und seine Frau Lydia anblickend, stellt er fest: Ihren Kochkünsten unterwerfe er sich freiwillig, an sie reiche er nicht heran; nur zu ihrer Entlastung behellige er sie und seine Gäste mit seinem Unvermögen, seinem mühsam erarbeiteten Wissen, seinen lächerlichen Tricks als Hobbykoch.

Wie immer, antwortet Lydia, sei ihr Oskar nicht nur ein Meister der Küche, sondern auch ein Meister der Untertreibung. Er sei bei weitem vertrauenswürdiger als sie, sammle die besseren Rezepte, habe sie auch schon ausprobiert, habe ja in Genf, dieser Vielvölkerstadt, immer die beste Gelegenheit gehabt, seinen Geschmack und seine Phantasie zu schulen.

Während Oskar das Fleisch serviert, die Teller vollzaubert mit dem Hinweis, die wahre Kunst sei ja hier, das Wenige viel erscheinen zu lassen, das heißt: es breit zu fächern und den Rest mit Hilfe der Vorstellungskraft so lang zu strecken, bis sich die richtigen Geschmacksassoziationen einstellen, gesteht er, er sei der Erfinder des Chefkochs Jean-Jacques Langeau, der simple deutsche Speisen mit französischen Phantasienamen geschmückt habe und die Rezepte dann alle in der Zeitung, deren Genfer Korrespondent er ist, abdrucken ließ.

Nachdem diese dann tausendfach nachgekocht worden waren, ohne daß der Schwindel aufgeflogen ist, habe er nicht umhin können, der Redaktion vorzuschlagen, den Lesern den Mann und seine Kochkunst in natura vorzustellen. Worauf man, für den Fall, daß er dazu tatsächlich aufgefordert worden wäre, zu folgender Lösung gekommen sei: Er als Oskar Lang müsse krank werden, damit er als Jean-Jacques Langeau auftauchen könne.
Zur besseren Unkenntlichmachung habe man auch das Schwarzfärben des Haupthaars und das Aufkleben eines schwarzen Theaterbärtchens eingeplant gehabt. Lydia sei sls Übersetzerin vorgesehen gewesen. Da jedoch - aus unerfindlichen Gründen - diese Einladung bis jetzt nicht ausgesprochen worden sei, verharre er weiterhin im Zustand der Vorfreude auf dieses deutsch-französische Maskenspiel.

(Die Berliner Entscheidung, Residenz Verlag, 1984)

Sonntag, 4. November 2012

DB-017 (6) (Stefan öffnet erfreut die Telefonzelle)

Stefan öffnet erfreut die Telefonzelle, muß jedoch feststellen, daß der Hörer fehlt. Deshalb wendet er sich dem Eingang der Gaststätte hinter ihm zu. Dort bevölkern erstaunlich viele Männer, die meisten bereits angeheitert, die Tische oder lehnen an der Theke, hinter der gerade der Wirt im weißen Mantel ein Bierglas nach dem andern mit wohl ironisch gemeinter Akrobatik füllt. Er sagt, er kenne nur eine Rillestraße.

Ein Telefon habe er zwar, es sei leider derzeit außer Betrieb. Die Umstehenden lachen höhnisch, und Stefan bezieht ihr Gelächter im ersten Moment auf sich. Einer tritt an ihn heran und sagt in vertraulichem Ton, doch laut genug, daß die Mitzecher ihren Spaß dran haben können: Mann, mußt du denn überhaupt telefonieren? Vergiß es, da hast ja nix wie Ärger, fahr doch lieber gleich hin zu deinem Röschen! Der Wirt korrigiert ihn sofort: Jetzt sei sichtlich kein Röschen gefragt, sondern nur eine Straße zur zeitgerechten Erreichung eines frugalen Mahls. Auf einmal greift sich der Betrunkene an den Kopf, tut, als denke er angestrengt nach: Rillestraße, Rillestraße ... ja richtig, da sei doch auch eine drüben in Friedrichshagen, dahin komme er allerdings nur mit der Taxe; Einschränkung: ein Standplatz sei nicht hier, sondern erst vorm Bahnhof Köpenick.

Um nicht wieder einem Fußmarsch ausgeliefert zu sein, stellt sich Stefan zur Endstelle der Straßenbahn. Das Wartehäuschen ist ziemlich desolat, die Wände sind beschmiert, der Verputz liegt auf dem Boden. Sein Blick muß feindlich gewesen sein, denn einer der beiden hin und her schlendernden Männer - der im alten, hellbraunen Ledermantel, zu dem er auf dem Kopf einen eleganten, breitkrempigcn Hut trägt - bleibt kurz stehen, um ihn eindringlich auf den Zusammenhang zwischen dem akuten Arbeitskräftemangel und dem schlechten Zustand der Gebäude hinzuweisen.

Stefan nickt und lächelt verbindlich. Der Ledermantelmann biedert sich über das Gleis hinweg mit dem dort Wartenden an: Das ewige Huhn gehe ihm schon auf die Nerven. Einmal was anderes zu den Feiertagen, antwortet der von drüben, da helfe nur Truthahn. Der, den er schon seit Tagen esse, der sei prima. Aber seine Angetraute, die Elsa, ja, die sei auch eine prima Köchin.

Die Weiterfahrt mit dem Taxi führt Stefan an einem weißen Schloß vorbei, das jetzt als Kinderkrippe dient, und einer weitläufigen Yachtwerft am Ufer der Müggelspree. Von außen sagt ihm das gelbliche Haus in der Friedrichshagener Rillestraße überhaupt nichts. Obwohl sich schon im Treppenhaus eine dunkle Erinnerung meldet, ist er sich erst ganz sicher, als ihm Oskar, der in seiner weißen Schürze kleiner und fester aussieht als auf den Fotos von Lena, leibhaftig öffnet.

Die Wohnung ist nicht wiederzuerkennen. Anstelle der früheren gediegenen Sachlichkeit beherrschen jetzt dicke Wollteppiche, Blümchentapeten und Fertigteilmöbel das Bild. Aus dem Schlafzimmer von damals ist ein Eßplatz geworden. Das Doppelbett ist verschwunden, eine Zwischenmauer eingezogen worden.

(Die Berliner Entscheidung, Residenz Verlag, 1984)

Samstag, 3. November 2012

DB-016 6 (Von seinem ersten Gang)

6

Von seinem ersten Gang über den Alexanderplatz bringt Stefan nur einen Blick auf vielleicht dreißig in sauberer Reihe marschierende Sowjetsoldaten mit und den Text auf einer Tafel hinter der Fensterscheibe der Bahnaufsicht: Wir Eisenbahnerinnen und Eisenbahner/ des Bahnhofs Alexanderplatz/ kämpfen um die Anerkennung/ als Bereich der vorbildlichen Ordnung, Sauberkeit und Sicherheit.

In Köpenick verläßt er die S-Bahn, mit der Absicht, ganz seinem Ortsgedächtnis gehorchend, zu Fuß die Wohnung Oskars rechtzeitig vor dem Mittagessen zu erreichen. Die Volksbuchhandlung, das Warenhaus, in dem er mit Lena mehrmals eingekauft hat, die Anmeldestelle der Volkspolizei, wohin er sie drei Tage nach ihrem Kennenlernen vor zweieinhalb Jahren begleitet hat - alles scheint auf den richtigen Weg zu deuten.

Nach einigen hundert Metern müßte er die Durchzugsstraße verlassen und zweimal nach links gehen. Er würde dann auf die Rillestraße stoßen, wo Oskar wohnt. Doch Stefan findet keinen markanten Punkt, kein Gebäude, das ihm die Richtigkeit seiner Annahme bestätigt. Die Straße scheint außerdem breiter zu sein als diejenige, die er in Erinnerung hat.

Auf ein Clara-Zetkin-Studentenheim, das einen Pförtner sucht, folgen größere und kleinere Wohnhäuser, die ihn weiter verunsichern. Als dann zu beiden Seiten ein schütterer Nadelwald erscheint, tröstet sich Stefan mit der Hoffnung, daß er sich nur aus der falschen Richtung seinem Ziel annähert. Wenn er dieses Zwischenstück überwunden hat, wird das Bekannte zunehmen.

Zu seiner Beunruhigung zeigt sich niemand, den er fragen könnte. Eine einsame Fußgängerin mit Hund, nicht einmal in Rufweite. Ab und zu ein Auto, und nur ein einziges Mal eine klirrende Straßenbahn. Danach wieder eine für den späten Vormittag geradezu gespenstische Ruhe.

Nach einer langgezogenen Biegung endlich wieder Häuser. Schräg gegenüber der Endstelle des 82ers entdeckt Stefan ein Schild mit der Aufschrift Rillestraße. Erleichtert schreitet er an den Zäunen entlang, bis er bemerken muß, daß die Straße plötzlich zuende ist, ohne daß er die Nummer, die er sucht, vorfinden konnte.

Von einem Mädchen, das aus einem der Einfamilienhäuser zum Tor hin einem Ball nachläuft, will er wissen, ob denn die Rillestraße eine Fortsetzung habe. Aber das Mädchen blickt ihn entgeistert an und trollt sich schnell zum Haus zurück, ohne den Ball aufgenommen zu haben. Stefan wiederholt seine Frage mit lauter Stimme, worauf das Mädchen, sich halb umdrehend, zwischen den Lippen hervorpreßt, das sei die ganze, und sich dann sofort hinter der Eingangstür verdrückt.

Stefan hat nur eine einzige plausible Erklärung: Es gibt eine zweite Rillestraße. Trotz der Blamage beschließt er, Oskar anzurufen, bei dem Lena ja schon angekommen sein müßte. Auf der gegenüberliegenden Seite der Straße beladen zwei Männer einen Kombi. Aber sie können Stefans Markstück nicht wechseln. Einer hält Stefan eine 20-Pfennig-Münze hin und meint, mit einem Seitenblick auf den westlichen Steppmantel, das sei ein Geschenk eines hiesigen Werktätigen im Dienst der Völkerverständigung. Er grinst dabei, sein Kollege versetzt ihm einen Klaps gegen die Schulter.

(Die Berliner Entscheidung, Residenz Verlag, 1984)

Freitag, 2. November 2012

DB-015 (5) (Stefan schließt die Augen)

Stefan schließt die Augen und sagt, er warte jetzt auf einen Schuß, auf mehrere Schüsse. Gleich danach entziehe ich ihm meine Füße und höre ihn mögliche Motivationen aufzählen. Oder, schließt er seine Überlegungen, er erschießt ihn, weil er ein Kryptokommunist ist.

Es kommt jedoch anders: Er muß Michel anstarren, wie er in der Küche seiner weitläufigen Villa ein Kaffeehäferl hält, das letzte Blut aus einem Häschen pressend. Ausbluten, sagt Stefan, er hebt seinen Kopf, weil ein Schweißer gestolpert ist und 30 Stockwerke hinunterfällt, Ersatzopfer für Jacques, und Stefans Schwanz sticht unerwartet steil in meine Arschfurche. Stefan streicht mir über den Bauch und nähert seinen Atem meinem Ohr.

Wie er als Bub seinem Großvater beim Fellabziehen geholfen habe, wie ihm vorm bläulich-rosafarbenen Fleisch des Hasen, seinem warm-süßlichen Geruch fast übel geworden wäre: Daran denke er jetzt, wo vor seinen Augen der Kapitalismus den Schweißer bei lebendigem Leib gehäutet habe. Der habe seinem Leben bewußt ein Ende gesetzt: fünf Sekunden Sturz, Funkenregen, kurz gleißendes Licht und das Knattern der Stromstöße. Oben sei er Handlanger gewesen, unten der leblose Sieger, sofort durch die gierig Nachdrängenden hinter heruntergeklappten Schweißerbrillen ersetzt.

Ich kann jetzt schwer die Wirklichkeitsschichten auseinanderhalten: vor mir das schwarz-weiße Geflimmer, wo ein dunkler, flackernder Fleck einem anderen ebensolchen Fleck den Befehl erteilt, endlich mit ihr (also der Cardinale) ins Bett zu gehen; hinter mir die zunehmend feuchte Hitze, die sich auf meine schlaffen Glieder, meinen auf- und abwogenden Willen legt. Dort vorn wehrt sich einer mit der Attitüde der Hilflosigkeit, die nach Hilfe schreit, gleichzeitig den Ansatz jeglicher Hilfe erstickt. Hinter mir saugt einer meine Nackenhaare in seinen Mund, kaut sie.

Soll ich meine Augen verschließen vor den Ereignissen vor mir und mich blitzschnell umdrehen? Bin ich dann dem hinter mir Objekt seiner Phantasien, die ihn immer eindeutiger das einzige nächtliche Ziel ansteuern lassen, ohne daß ich mir vorher annähernd Klarheit über meine Augenblicksbedürfnisse verschaffen konnte? Wird der hinter mir, ohne Widerstand in mich eindringend, mich als noch immer unverhüllt Traurige, unverhüllt Unentschiedene ertappen?

Du weigerst dich, diese Fragen jetzt zu beantworten, und starrst fasziniert auf eine Dame in teuren Fetzen, eine goldkalt Berechnende, eine sich im Anbieten Zurückziehende, eine im Zurückweichen Aufklaffende. Du siehst die Cardinale unter einem klebrigen Zuckerguß. Du siehst einen Baulöwen, der zugleich Abgeordneter ist, und eine französische Schlagzeile, die Stefan mit schwacher Stimme eindeutscht.

Endlich siehst du alle drei in einem Raum. Und die Cardinale hebt ihre Pistole, richtet sie auf Michel, der langsam auf sie zugeht. Du siehst, wie sie die Pistole plötzlich gegen sich kehrt, mit verzerrtem Gesicht etwas Furchtbares schreiend. Du siehst den jetzt stehenden Michel, der von einem Geräusch abgelenkt wird, das von links hinten kommt, wo der Umriß der Gestalt von Jacques zu erkennen ist. Und heraus schiebt sich der Umriß einer Waffe, aus deren Mündung mehrere Schüsse zischen. Du siehst, daß die Cardinale an die Wand geklatscht wird, daß sie zu Boden sackt. Und Michel klopft Jacques bewundernd auf die Schulter. Und Jacques erhebt sich und küßt Michel auf den Mund. Und beide beginnen sich zu verrenken, und aus ihren Verrenkungen wächst ein grotesker Tanz, ein Gezucke, lustloser Jubel, behinderter Triumph. Du siehst, wie sie sich auf uns zubewegen, in Hüfthöhe unscharf werden. Und der Mann hinter mir atmet, als wäre er bereits eingeschlafen.

(Die Berliner Entscheidung, Residenz Verlag, 1984)

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