Donnerstag, 10. Mai 2012

0102 - ANAL

du hast einen kasten voller kleider
während ich auf einer luftmatratze
im leeren zimmer sitze Otto Mühls
entkleideter analfaschismus anarchismus

ein blitz vorm fenster quer durch die schräg
hinausgespiegele küchenverbauung
der regen ist neu das aufprall und abrinngeräusch
es regnet in den offenen mund kälte

aus dem weltall der astronauten
du ziehst hier ein und alles
hat seinen platz doch ich habe bücher
und kein regal ich hänge bereits

mit einem fuß aus dem fenster mir alle
kinder vorstellend die aus den berührungen
mit frauenkörpern fremdkörpern
entstammen könnten es ist ein zwangs-

mechanismus: du putzt was dir gehört
hast kein verständnis für meine hilflosigkeit
mein zug ist zumittag abgefahren
in einer sekunde lächerlicher autorität

und dabei die koprophilie oder auch nur
der greifzwang besonders erhöht
bei kopfschmerzen unsicherheit heißen
tagen: du arrangierst dich trotz

deiner schwäche mit all diesen
so wichtigen dingen ich starre
auf meinen kot verständnislos fixiert
auf die überbleibsel deines wunschlebens

(do.27.5.1971, 20.20 uhr)

Dienstag, 8. Mai 2012

D-30 FIEBER

alles, was ich trank, verschwand
ohne Wiederkehr, mußte
sich ausschwitzen, fand nur mit heißkaltem
Brennen einen Ausweg. Fenster zu,

See, Himmel, Bergwelt weggesperrt!
Zukunft – schnarrend undankbare Idee!
Tuchfühlung zu andern – ichlose Manie!
Selbstvorwürfe, aus den Mündern derer,

die sich in einer fernen Studentenwohnung aufbauten:
auffallend gealtert in ihrem zynischen Lächeln.
Fügsam bereute ich jeden Schritt.
Glockenhell lachten die Gastgeber.

Ich sollte vor ihren Augen kotzen,
wieder Grund zu Gelächter.
Aus dem Fieber trat allerdings nichts hervor,
nichts Rührendes, keine Schocksekunde,

keine noch unerkannte Erinnerung,
kein Ort, der irgendein Geheimnis barg,
auch kein schöner narbenloser Körper,
meiner, in einer völlig anderen Welt.

Ich lag flach, heiß,
elendiglich krumm in den Laken, gepfählt,
ja gepfählt vom eigenen Arm,
dem spitzfindigen, dem jede Wendung recht war,

damit nur die Zeit verging,
was sie ganz von selbst tat:
mit einer ermüdenden Allergie
auf Pläne, Zukunftsprojektionen.

Hölzerne Dauer,
fauchende Heimfahrt.
Erhitzt-feuchtes Erwachen.
Proustianisierte Phantasien!

(Dienstag, 27.7.1999, 21.30)

(Erschienen in: Das leere Kuvert, Bibliothek der Provinz, 2002)

Sonntag, 6. Mai 2012

D-29 LAC LEMAN

Hangwiese,
passend zum übrigen Grundstück,
von der du unlängst schriebst,
sie würde einmal dir gehören.

Nachts, in der schwappenden Finsternis -
ich hielt an, atmete; ging
weiter, bis zum Zaun.
Und am Berg hinter mir

gelbe Türöffnung, gelbes Fenster;
und unten am Seeufer die Lichter
von Montreux, Vevey, der Ortschaften
auf dem Mont Pelerin

und dessen vorgelagertenHügeln.
Funkelflüssigkeit Finsternis, weiche Luft.
Nichts roch ich, streckte jedoch
die Arme, bis zu den Fingerspitzen,

ließ sie kreisen, sich dehnen.
Beschrieb so, momentane Lust und Laune,
einen Land- und Seekreis, der allein mir gehört,
feucht leuchtendes Luftinselchen,

so weit das Auge reichte.
Am Fernsehturm oben auf dem Berg
erlosch nur eines der drei roten Lichter.
Atmete heftig, bewußt

hyperventilierend, zwang mich
den Luftausstoß immer heißer zu spüren.
Auch der Einhauch wärmte,
in den Adern erhitztes Blut.

Wie in der abgedunkelten Badewanne
auf der Grasnarbe meine Zehen.
Und dazwischen der heiße Strahl,
mein Blick, der alle nahen Gewächse

zischend in sich sog, untertauchte,
sie einem Zufallsspiel unterwarf.
Der Lac Leman steigt von Genf,
das von hier aus nicht zu sehen ist,

bis zu mir herauf. Er wird die Wiese wässern,
wenn sie deinen Nachkommen gehört.
Sie wird sich an dich erinnern, Erdreich
grünen lassen, nützliches Memento

(Donnerstag, 15.7.1999, 18 Uhr)

(Erschienen in: Das leere Kuvert, Bibliothek der Provinz, 2002)

Freitag, 4. Mai 2012

D-28 MORGENFORSCHUNG

schon am Morgen im Garten mit Forscher-
Augen: über den See hin, zu den seidigen
Nebeln über den Wassern
zwischen den Bergsenken. Dann:

jeden Baum, jedes Gesträuch
aus der Nähe betrachtet, umschritten – so
entstanden Namen aus dem Unwissen, pro forma.
Schließlich saß ich unter der von mir

so genannten Hängeesche, versteckte
mich vor dem herabstoßenden Helikopter,
fixierte die Koniferen vor dem Bungalow.
Meinen Entschluß zu bleiben projizierte ich

so lange auf sie, bis sie tanzend zusammen-
wuchsen, bei Frühlingsmusik, dabei harte
blaugrüne Früchte abwarfen und sich kletternd
über das Dach ausbreiteten. Es war,

als würden sie sich in deinen Traum einschleichen:
drinnen der Therapeut, heraußen sein Stellvertreter,
und sie rivalisierten um die Erklärung
deines zweifachen Lächelns. Als du dann

in der Tür erschienst, war dein Nacken elastisch,
fast schmerzfrei, und du sprachst von dir,
deinen Wünschen, ohne einen Funken Lust
auf spirituelle Vereinigung

(Montag, 12.7.1999, 12 Uhr)

(Erschienen in: Das leere Kuvert, Bibliothek der Provinz, 2002)

Mittwoch, 2. Mai 2012

E-14 SCHLAF ODER SCHAF

mit schlafen ist keineswegs nur Schlaf gemeint:
ein Schaf, das sich aus dem Bett herauswühlt,
Schaf aus Wolle und Federn mit Maske,
etwas aus der Vorwelt Entsprungenes,
der Nacht, die erst am Morgen begonnen hat.
Nicht Schafähnlichkeit war der Gedanke im Schlaf -
haarscharfe Schaf- und Schlafbefreiung.
Ein Tier schweigt, ein Mensch schreit und schweigt.
Das Schaf ist kein Opfer, Opfer ist der Schlaf.
Es gibt keinen Schlaf ohne Schaf, kein Schaf ohne Schal,
keinen Schal ohne schlaffen Schlag.
Da ist mein Gesicht wie das wollene Schaf.
Das schaut mir aus dem Gesicht wie der Schlaf.
Kaum kommt das Licht, verschwindet das Schaf.
Jemand zieht mir die Maske vom Gesicht,
und niemand spricht mehr von Schaf oder Schlaf

(Dienstag, 1.11.2011, 23.11)

Montag, 30. April 2012

D-27 HÜGEL BEI ASPARN MIT SCHAF

Brücke, Mädchen mit Hund,
der sich heranschnüffelt,
im Schritt vergräbt.
Noch kein Schaf, schmutziggraues,
das hungrig zwischen Hütten herumirrt,
menschenleer seit der letzten Eiszeit.

Über die einspurige Bahnlinie
weiter hügelan.
Nasser nachgiebiger Weg.
Am Rand Wicken Nesseln Klee.
Nun aus der Ferne blökt es,
Herzweh, Menschenleid
aus Wolle, Bratenfleisch.
Gras gerupft für das Schaf,
damit es erscheint.

Im Hohlweg rechts und links
Gebüsch: Haselnuß Liguster.
Zwei hoch aufragende Bäume
mit unerreichbaren Kirschen.
In den Heckenrosen Geflatter.
Plötzlich ganz nah das Schaf,
offenen Mauls, lautlos,
mit verblödeten Augen –
sieht nicht die Taube auf dem Dach,
auch nicht den Spatz in der Hand.

Bergauf und zurück,
Schritte im kindlichen Licht,
das aus den Gräsern zurückstrahlt.
Von einem Querweg
Hügelabblick auf Dörfer.
Nun eine ganze Herde,
die sich dort drängt,
blökend, mampfend,
Schafsschädel, Schafsgesichter,
vereist.

Mit schweren Schuhn
zwischen Weinstöcken hinab,
zu den Masten in der Ebene,
Schafstrompete Schafsohrwurm
Schafsabgesang.

Nirgendwo ein Mohnfeld,
das all dieses tödliche Grün
auslöscht

(Erschienen in: Das leere Kuvert, Bibliothek der Provinz, 2002)

Samstag, 28. April 2012

O-25 HAUCH

meine verheimlichte Hand
dort bei den Tieren, am Rand des Geheges:
speiste sie mit geschöpflicher Liebe,
und sie erwiderten mir einen Moment heiteren Glücks
in meine verworfene Existenz zurück.

Danach, beim Flughafen
unter dem aufgekratzten Spätnachmittagshimmel -
fast wär ich ertrunken
in den Schwarzbildern am Kanal,
im unsäglichen Nervengewimmer

(Montag, 8.1.2001, 9.50 Uhr)

(Erschienen in: Obachter, Edition Korrespondenzen, 2007)

Freitag, 27. April 2012

O-24 HERZGEDRÖHN

so neben mir her, durch und über die Jahre
außerhalb von Schuld, selbstverantwortungslos.
Bedauern, dauernd, wie schwer mir das fällt.

Ich schaue auf, träume, blähe die Haut.
Wind von draußen, Uhr, die stockt.
Herzgedröhn, dicht neben dem Ohr

(Freitag, 23.06.2000, 12.30)

(Erschienen in: Obachter, Edition Korrespondenzen, 2007)

Mittwoch, 25. April 2012

O-23 LIED

denk ich an dich, muß
ich lächeln; seh ich dich,
bin ich ruhig. So beginnt
ein Lied, das sich in mir

wiederholt, ohne ein
weiteres Wort, eine Zeile
mehr. Nicht daß ich mich
wirklich im Kreis dreh.

Divergenz, suspense aus
einzelnen Lebensaugenblicken;
und Wärme von Schenkeln,
die nicht zuschnappen

(2001)

(Erschienen in: Obachter, Edition Korrespondenzen, 2007)

Montag, 23. April 2012

0098 - FREIE LIEBE

ich komme schnurstracks aus dem schweiß
in die verkörperte trägheit meine unleserliche
schrift bedarf natürlich des vorlesens
pfeffer auf kaltes huhn kalter karireis

endlich einmal freies essen nach der freien
liebe befreit von der verlogenheit zumindest
in andeutungen mit nackten fingern in den mund
in die nationalbibliothek oder in dein loch

du sagst oh und lachst so befreiend knall
doch den kram hin deine jahrgangsneurose
laß dich doch nicht von den stubenhocker-
typen vermiesen von frühmorgendlichen

spätnächtlichen anrufen die du dann drei vier
nächte später natürlich viel geschickter erwiderst
ich sehe meine hände vor den augen dieses mannes
oder irgendeines exoten in seiner noch schäbigeren
wohnung zerschmelzen ich halte irgendetwas fest

versuchs jedenfalls ist es jetzt zum verzweifeln
knieweiche sehnsucht ein unkontrollierter
verhinderungsversuch pubertäres selbstschmerzvernügen
unter schäfchenwolken und kunststoffsitzdunst

vollgepumpt mit verliebten aggressionen
deine trägheit motiviert deine abwesenheit
aber in den reiskörnern bist du deine zukünftige
gastritis in der erzählung vom tötungsakt der hühner

und lämmchen was mich trösten könnte im geruch
der haut frisch abgezogen vom hasen
knieweich mit flaumigem blutigem balg
in der hand freies essen freie liebe

(mi.26.5.1971)

Mittwoch, 18. April 2012

A-01 THE ARTIST/IL ARTISTA

nur mit Block ausgestattet und Filzstift
ist Fausto the artist/il artista, der allen
sofort etwas schenkt: seinen Namen, ein
Schnellporträt, einen Satz, eine Pointe,
einen Witz, einen Blick, winzige Fundstücke,
blitzschnell in immer neuer Konstellation.
Am Gitterzaun Anfang und Ende zugleich.

Du und ich, wir alle, wir kommen und gehen.
Wenn du von rechts kommst, empfängt dich
ein lang gezogener Kreidemann, zittrig,
doch mit schmaler ausufernder Hand.
Es ist Faustos etwas klebrige Rechte,
die er nicht aufhält. Die Cent-Münzen
kommen aus der eigenen Tasche,
in einem Schiffchen aus Alufolie
oder einer schäbigen Börse, von wo sie dir
scheinbar von selbst in die Hand wachsen.

Narcissus! Wenn du Narcissus sein willst – jederzeit;
hol dir eine Porträtscherbe aus der Plastikdose!
Alles von ihm und doch Eigentum aller anderen.
Jetzt bist du zufällig der andere, der nur immondizia erbt,
rubbish, wie die desparate Nackte auf dem Blatt
gegenüber an der Mauer der Akademie,
die eine schnell hingeworfene Strichfigur mit ihrem
langen Fernrohr ununterbrochen beäugt.
Du beäugst ihn, Fausto, er dich. Sie ihn, er sie,
im Licht aus den Strahlern im Boden.

Die Alubarke entgleitet dir nicht. Eine Weile
bleibt sie Bestandteil deiner Ideen. Münzen, Blätter,
Stifte, frische Luft. Als Studio genügt dir, wie ihm,
der Betonrand des Durchgangs, und dort
ein paar Kreidestummel, schwarze und weiße
Kartone, zerquetschte Farbtuben.

Und wenn du einen Doppelgänger suchst –
nimm ihn, Fausto, als Divus Augustus in einen
zusammengeschusterten Rahmen gepreßt,
vor einem Foto mit römischen Lettern!
Willst du aber gehen, dann benütz einfach the long jump/
il grande salto: zwischen drei Absprungpositionen
kannst du wählen. Wo auch immer du landen willst -
jede entfernt dich jäh und ganz

(Dienstag, 27.03.2012, 2.08, Rom)

Montag, 16. April 2012

0097 ICH KÜSSE DEN VERSTECKTEN MUND

ich küsse den lärm der ablenkt von Ginsbergs
metaphysik auf die rote sonnenbrille
den versteckten mund eines auweh schreienden buben
auf den schoß einer hilflosen mutter

auf die zahnspangen die aufkreischen
durchdrungen von materialität
aus ihrem aufgerissenen bett heraus
inmitten von pflastersteintürmchen ohne protestzweck

ich küsse die verlegen lachenden tschuschen
gezeichnet mit den leuchtfarben des staates
mit den schlagschatten unter den büschen
mit dem sprühregen auf die rosenzucht

inmitten der kraut und rübenfelder
mit der Donau im hintergrund ohne schiffe oben und unten
mit einer völlig unauslotbaren zukunft
den versteckten mund einer bereits verlorenen tochter

ich küsse die schritte unter meinen sohlen
die steinchen ästchen rindenstücke
die flüssigkeitsflecken essensreste den kot
die fahrzeugspuren die rebellischen lüfte

die lüste die ängste die herrlichkeiten alles
was ablenkt von Ginsbergs metaphysik auch
eine erschreckt aufspringende vorstadtschöne
deren buch auf den versteckten mund

(mai 1971)

Freitag, 13. April 2012

0096 NATURALISMUS

ein konsequent durchgehaltener naturalismus
endet in schizophrenie sag ich die definition der beziehungen
wird ständig verweigert ich langweile mich
in meine müdigkeit hinein ein magenekel

macht mir zu schaffen die so weitläufig beschworene telepathie
ist eine verschleierung von besitzansprüchen
Jesus war sicherlich ein arier wahrhaftigkeit
in unsere prärevolutionäre situation auf jahrhunderte

kunst & käse die jungdichter wundern sich
über den spalt der mir plötzlich so viel bedeutet ich prüfe
die nässe der finger in meinem atemhauch am spalt
des zeitalters temporäre verliebtheit

und daraus entspringend die erektion eines hörspiels
wo Sappho wütet und Haarmann seine jünglinge akustisch zerfleischt
der allgemeine rahmen ist nicht so einfach zu verleugnen
die archetypen erscheinen auch in der langeweile

könig & königin oder der vierkanthof Thomas Bernhards (zitat)
kunst & käse ein konsequent durchgehaltener naturalismus
beweist einen beischlaf (achtung ehebruch) im auto
minutiös die pervertiertheit von bruder & schwester

ich habe eben diese masche die mir nichts einbringt
außer zerkratzten händen ich fahre weiter
mit einem kopf am schwanz ich nehme mich zurück
in die pseudogeschütztheit des autos wo atem & schweiß

eine feindliche welt verschließen ich nehme mich aus
von der gerechtigkeit gültigkeit dieses augenblicks
mein geschwollenes gesicht ist eine sexuelle maske
ortskunde höchstens dienlich zur auffindung eines heurigen

wo der wein die hunde in rage bringt den Freddy zum beispiel
was mich sofort an die jähzorn meines vaters erinnert
als ich weiter am spalt wüte mit dem schalthebel übertreiben
läßt sich die gefahr fliegender tischlerwerkzeuge in gewissen

abständen die autoscheinwerfer als entblößung des traums
Jesus wandelt am eis ungebrochen durch die jahrhunderte
er versinkt in den augen des heutigen publikums für dich
eine vereinte ungläubigkeit bringt alles zu fall

beziehungswahn läßt die wichtigsten fragen offen erschöpft sich
in banalität herzklopfen über das umgefallene regal die armen
bücher mußt du nun steigen mit vorsichtigen zehen
die blöße die ich mir gab wegen der magischen sieben

(sieben stunden langeweile oder amüsement je nach standpunkt)
an den rahmen denkst du nicht in deinem aufschrei
wir haben ein geheimnis errichtet das nur rumpelstilzchen
kennt oder die sieben zwerge oder frau holle

das heißt irgendein bach irgendein geländer irgendeine anhöhe
wo das laub raschelt wenn nur die familie
die ich garnicht kennenlernen muß in den gesprächen
sympathisch bleibt halluzinationen aus brennenden augen

eine fortbewegung zum bett hin zu schwarzwäldertorten punschkrapfen
eine pflaume nein eine zwetschke ja eine zwetschke
im eiskasten Bill Carlos Williams' wie Pound ihn nennt
zu 98 % stehst du außerhalb der kirche abnehmen ist für mich

tatsächlich ein problem aber nicht für den mond
der heutnacht sicherlich alles verschweigt die begehrlichsten
wörter auf die natürlichste weise entstehen dreiecksverhältnisse
ein bankraub ist ein angriff auf den kapitalismus

ein mann glücklich im gold schwimmend ein mann
sicherlich tot in seinem beruf der ihm nicht berufung sein konnte
alles überspannende freizeit wenn wir das tun vögeln fegeln
(ein iterativ) mitten am stephansplatz wenns geht

oder in der nationalbibliothek zu ehren der größten geister
ihren zerfallenen knochen unter zusammenstürzenden bücherkästen
im hauch von tausend handtrocknern so schwitzen
wir uns aus dem schlaf in den schweiß und umgekehrt

mit einem schmetterling im bauch der allerdings kein ästhetizismus ist
sondern schicksalhafte verstrickung verdrehung versponnenheit
lauter fingergroße Wotrubas aus deinem puppenzeitalter
entkommst du jetzt in eine übersteigerte kratz und schreilust

kunst & käse die jungdichter sind ratlos ich beginne mich
zu verändern als moralische institution meiner selbst
meiner liebe sag ich direkt in die gesellschaft hinein
die mich mit naturalismus beglückt kunst & käse


(sa.22./so.23.5.1971)

Dienstag, 10. April 2012

0095 GERECHT ZU DEN DINGEN SEIN

immer will ich gerecht zu den dingen sein sagst du
wenn ich zum beispiel wie es heute passiert ist
eine abgebrochene haarnadel erwische

und mit ihr einen lockenwickler im haar
zu befestigen versuche spüre ich einen schmerz
der von der stumpfheit herrührt

und ich tausche sie gleich aus
mit einer nicht stumpfen aber im selben moment
muß ich denken ich hätte die stumpfe

verletzt weil ein stumpfe eben um vieles
verletzlicher ist und ich nehme die stumpfe
stecke sie anstelle der nicht stumpfen

durch den lockenwickler spüre jedoch
sofort ich habe die nicht stumpfe beleidigt
als ich sie von ihrem angestammten platz

entfernte von ihrer wohlverdienten funktion
zwar kosten ließ aber gerade diese ach so
kurze kostprobe sie umso mehr verletzen mußte

als hätte sie nie ihre einzige wahre zweckmäßige
funktion kennengelernt das ist sagst du
natürlich ein höchst banales beispiel

sagst du aber mein leben besteht vor allem
aus einem solch banalen und höchst schmerzhaften
animismus sagst du aus stumm schreienden dingen

(do.20.5.1971, 10.30 uhr)

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