Mittwoch, 4. April 2012

D-26 HvK

schaut mich noch immer nicht an, er,
HvK, schrägköpfiges Rotgesicht,
während ich in dem blutigen Bett
versinke, heftig winkend auftauche aus
dem Hitzepool hinter meinem Rücken.

Vorbei und unerkannt. Keineswegs ein offenes
Buch ist die Zeit. Unordnung schützt
den Boden. Schuhe marschieren einzeln
in verschiedene Richtungen, klappern
bewußt Möglichkeiten ab, schließen welche aus.

Socken als schwarzschwangere Fragezeichen?
Rot noch immer, reflektierend gestreckt,
das die Oberflächenschrift zerdellt.
Stiftechaos, die meisten keineswegs mehr schreib-
fähig. Trotzdem das Wort Paradies. Und gleich:

Paradeiser, Tomate, Österreich, Pina Colada
in einer hohlen Ananas. Salude, Seele!
ein erfüllbarer Traum. Aber Zeit, jetzt groß
geschrieben, und mehr: sonst ist nichts
lesbar; und von Vera nur era. Gekreuzte

rote Pfefferoni als H in Schüsseln. Tisch
in der Hocke über dem Monitor. Darauf,
wegen des Winkels, keineswegs mein Gesicht:
Findlinge, Erdbeben im unmöglichen Zimmer,
Glück im Fall, Verzücken, wortlos

(2000)

(Erschienen in: Das leere Kuvert, Bibliothek der Provinz, 2002)

Sonntag, 1. April 2012

D-25 DISSIPATIV

Unentschiedenheit, wie schön,
zwischen Büchern, Leseplätzen.

Nun ist es das Schlafzimmer, das zweite,
und eine kroatische Luftmatratze

mit einer hiesigen Auflage samt Blümchen-Polster
aus dem vorderen Doppelbett: hingelegt

auf den Bauch, und noch immer Prigogines
dissipative Strukturen, Bifurkationen,

und gegen Chardins Punkt Omega
als Möglichkeit der Große Zusammenbruch.

Im offenen Koffer Plastiksäcke
mit Wäsche, zwei ungleiche Bücherstapel:

darin Brodsky und Hughes, übereinander,
Urania samt Tiger, der hier niemanden tötet.

Es gab nur einen einzigen lang nachhallenden Donner,
wie unlängst diesen Knall, dessen Herkunft nicht zu eruieren war.

Inzwischen fasrig quellende Wolken im Talkessel,
nur an einer einzigen Stelle lichtdurchlässig.

Keinerlei Blendung.
Kein Berg, kein Aufstieg.

Leichtes Erzittern blutroter Geranien,
ihrer olivgrünen haarigen Blätter und Stengel, wenn ich sie ansehe.

Daneben: Hemden, in Zufallsfalten erstarrt.
Keine Dämmerung, mit Kastanienkühle.

Kein rotglühendes Eisen, wie beim Schmied im Dorf,
kein Schlagecho mehr bis in die Nacht hinein.

Keine reglosen Narzissen, anstelle aller zu Staub
gewordenen Pfingstrosen, Nelken und Lilien meines Lebens.

Am Himmel nur Stahl, ohne eine Spur Purpur.
Fast hohler Bauch, gewiß eine Täuschung, mit Spitznabel,

aus dem papierenes Gedärm entfließt Brei,
noch formbar, natürliche Tinte,

die mir ein Lob entlockt, kleines, auf die Negation
dieses isolierten Systems, die mich fallweise rettet

(Dienstag, 27.7.1999, Altaussee)

(Erschienen in: Das leere Kuvert, Bibliothek der Provinz, 2002)

Donnerstag, 29. März 2012

D-24 KLEINER MAMCO-WAGGON

zuerst steht der kleine, grüne Waggon
auf einem Friedhof, an einer Wand
aus Grabsteinen: so zeigt es ein Foto;
dann in einem Koben aus rohem Holz,
innen geweißt, in einer Reihe von Kuben,
inmitten einer sonst leeren Fabrikshalle.

Beschütz mich vor meinen Wünschen!


Und draußen über den nahen Dächern
auf einer Leinwand die Köpfe des Paars,
das sich zugleich anblickt und aneinander
vorbeistarrt, lächelnd auf etwas unsichtbar
Fernes oder Nahes hin: auch ihr Zwillingsbild
in dem Korridor weiter unten,
auf heftige Rot- und Blautöne reduziert,
gibt keinerlei Auskunft über die Qualität ihrer Intrigen,
Verzweiflungen, Tag- und Nachtexzesse.

Beschütz mich vor meinen Wünschen!


Jetzt in dem Koben ist der grüne Waggon
schräg abgestellt in nordöstlicher Richtung,
aufgeschlagen zum Dreiflügel-Altar
die Türen. Und drinnen die Bücherei
irgendeines Lebens, das auch meines sein könnte,
wäre irgendetwas in mir dazu bereit.

Beschütz mich vor meinen Wünschen!

Wohn- und Wahn-Archiv, von wem auch immer
zusammengetragen, zu welchem Zweck –
ist schnell zu umkreisen, zwingt bald zur Einbildung
eines Rundumauges, das alles, Innen und Außen,
mit einem einzigen Blick erfaßt und durchdringt:
zu einer Unzahl winziger Annäherungsversuche
mit Verschiebung Verschachtelung Tiefe Schleife
wie in einem einzigen Zug.

Beschütz mich vor meinen Wünschen!


Beiläufig verfinstert, dieses Wandergesicht
beleuchtet sich ganz von selbst. Beides,
Lichtflecken, befremdliche Schatten, erlöschen
mit der jähen Erinnerung an einen Raum,
in dem Schalter im Dunkel blinkten, wieder
und wieder, die Menschen schemenhaft
auftauchen ließen, Männer mit blutenden
Kopfwunden, Beinverbänden, verbrannter Haut,
Frauen mit verklebten Milchbrüsten.

Beschütz mich vor meinen Wünschen!


Der Koben ist offen, der Waggon lädt ein,
wetzt trotz allem hinter dem Betrachter her,
keucht, heult und glüht

(Sonntag, 18.7.1999, 8.15, Chernex)

(Mamco ist das „Musée d´art moderne et contemporain“ in Genf.)

(Erschienen in: Das leere Kuvert, Bibliothek der Provinz, 2002)

Montag, 26. März 2012

D-23 GERÄUSCH

dieses Geräusch, das keines sein wollte,
um so mehr eines war: Höschen
abgestreift, unterm Schweigekleid
vor dem Mann, Vater, von der Frau,
Mutter, die sich vorbeugt in einem Rondeau

um einen fingierten Brunnen herum,
Lusthaus, von der Tochter,
die lauscht und sieht, um dieser Szene
Schärfe, Schmach, Rausch
zu nehmen, auf sie projiziert.

Im Brunnen, in dem sich nun beide spiegeln,
Vater&Mutter, von dem hastigen Aushauch
zerdellte Gesichtsflächen. Und über ihnen,
an der Innenwand ihres Tempelchens,
in Ovalen oder Lichtdurchlässen

in gnadenlos überschwenglichen Farben
Porträts der Geschwister, Endlosreihe,
die auch fremde Familienzüge inkludiert und variiert,
als würde jedem Samen dieses Mannes, Vaters,
ein wahrer Mensch entsprungen sein –

nun allesamt verdammt, sich einzuschwärzen
mit jedem neuen Lidschlag.
Rotschwarzes quillt heraus, breitet sich aus,
verdrängt das Quecksilberlicht
aus ihrem Traumraum – plötzlich

eine rotschwarze Fontäne,
die lautlos die Kuppel durchsticht,
sie mitreißt und immer weiter nach oben trägt,
tanzend balanciert, mit diesem Geräusch,
das keines sein wollte,

sie umso mehr erschüttert:
Nun wölbt sich der Boden, drückt hinauf,
hebt sie, die Tochter, empor
auf einen höheren Ausguck,
bis sie die beiden, Vater&Mutter,

mit einem Vogelblick im rotschwarzen Schlamm,
im ausgeronnenen, nur schlaff wabernden Bett
erfaßt, ihn, den Mann, Vater, völlig flach,
nur Gerippe, Haut, Hunger- und Leidensblick,
die Frau, Mutter, hingegen ein federleichtes

Mädchen, schimmernd, quicklebendig,
noch immer ihr Ebenbild.
Ihr verzeiht sie mit einem Mal alles –
jedes böse Wort, jede Strafpredigt,
ihm, dem Mann, Vater, nichts:

keinen einzigen aufmerksamen Blick,
kein romantisches Zu-Sich-Winken,
keine vermeintliche heimliche Zärtlichkeit,
keinen unschuldig tuend geraubten Kuß.
Er sollte nur mehr der Stoff sein,

aus dem sich Weiblichkeit erhebt
und stärkt, die Frau, Mutter, und sie selbst;
Hülle, in Zukunft ohne jede
männliche Energie: schlottriger Vorhang,
den sie zerreißt und gleich wegwirft

(Samstag, 17.7.1999, 0.50, Chernex)

(Erschienen in: Das leere Kuvert, Bibliothek der Provinz, 2002)

Freitag, 23. März 2012

F-14 AUGARTEN

Unterm bröselnden Flakturm
Gelächter in der Sandkiste,
schnell schwindendes Kinderglück,
keimende Feindschaften, Tränen,
eingedrilltes Schwarz-Weiß-Schema.
Stolz, mit spiegelnder Sonnenbrille,
balanciert am Rad der kleine Usurpator.
Klingelnd umkreist er die Sandburg,
läßt Wasser rauschen,
das alles unterminiert.
Schwach scheint die Sonne,
im Schatten torkelt ein Baby,
hebt die Ärmchen,
bläst grinsend Speichelblasen,
bis es vornüberkippt im Rasen,
Hölzchen und Steine im Mund.
Auf tun sich die noch nackten Kastanienbäume,
raus schießen zwitschernd Meisen,
begeisterte Gartenzwerge im Marschschritt,
Fähnchen schwenkend
mit Franz Joseph- und Hitler-Abziehbildern,
unterm Beifall flanierender Pensionisten.
Scherben hinterlassend,
zerschlagene porzellanene Doggen -
aus der Manufaktur strömen die Lehrlinge,
zerreißen die Flaggen,
färben sie mit ihrem Blut,
verscheuchen den Spuk.
Beim Tor der steinerne Löwe
folgt der gekritzelten Aufschrift,
steigt vom Sockel herab,
wird höllisch liebender Mensch.

(21.3.1981)

(Erschienen in: Friede den Männern, Residenz Verlag, 1982)

Dienstag, 20. März 2012

F-08a IDYLLE MIT DROHBILD

An der Weggabelung entscheiden wir uns
für links, für uns und die Kinder, das eine
am Rücken, mit einem Mund voller Luftbläschen,
das andere hüpfend vorn oder schreiend
hinten, und wir gehen hinter den Häusern
vorbei, an den Silos in Richtung Schloß
unter unerwartet milder Sonne, und der ältere
Bub springt übers umgefallene Gatter hinein
ins bekannte Geheimnis, ins milchige Licht-
und Schattenspiel unter den Kastanien, lockt uns
zum frischumzäunten Graben, zur bemoosten,
statuenbewehrten Steinbrücke, zum Wunderbaumstumpf:
da lauern reglos Hunderte Käfer, alle
mit einem roten Kreuz am braunen Buckel.
Bettelheim, sagst du, zählt eine Unmenge
Umschreibungen für Massenmord auf, redet
von der Mitschuld der Alliierten
an der Judenvernichtung. Am Güterweg
startet ein Bauer seinen Traktor, fährt
ein Jauchefaß aufs Feld. Unser Kleinkind
sticht seinen Zeigefinger in die Luft:
im Kukuruzacker will er Kolben abbrechen,
entblättern, abnagen wie unlängst.
Und sein Bruder reißt meine Hand an sich:
ich soll ihn tragen, wie vor vier Jahren
im Hohlweg zum Sendemast am Bisamberg.
Wieder im Stadel hinterm Hof,
überfällt mich der Geruch des Strohs, der Säcke,
der verstaubten Geräte, zwingt mich
ein Drohbild zu Boden: sekundenlang
sehe ich dich und die Kinder
schmelzen im bläulichen Feuer.

(1980)

(Erschienen in: Friede den Männern, Residenz Verlag, 1982)

Sonntag, 18. März 2012

F-13 DORFSTANDPUNKT

Nach einer Biegung in einer Mulde
gleich neben dem Sägewerk

um einen unsichtbaren Anger herum
liegt schräg das Dorf

an einem mageren Bach: es reicht
bis zum Schloß mit den kupierten Türmen,

den Kastanienbäumen, den scheuen,
dreckigen Schafen im Graben,

bis zum Milchkasino, zur Bäckerei,
zur Dollfuß-Gedenkplatte,

bis zum Kirchturm, zum Wirtshaus
mit dem Telefon hinterm geblümten Vorhang,

es reicht bis zu den Bauern-Zimmern
hinter den spiegelnden Fenstern,

zu den Jahreszeit-Ritualen
in den Höfen, auf den umliegenden Feldern.

Heut ist das Dorf für uns nur
eine bewußt eingesetzte Ablenkung

von übermäßiger Innerlichkeit:
jeder arbeitet an seinen Beziehungen,

den frustrierenden Lieben,
den kläglich endenden Befreiungsversuchen;

den Gleichgültigkeitsanfällen,
den Überfällen beharrlicher Hoffnung;

den abgestandenen Dreiecksverhältnissen,
den Kämpfen um Kinder und Frauen.

Auf jeder Fliege sitzt ihr Herr,
Beelzebub, sag ich, und lacht sich eins.

Als es Nacht wird, strömt aus dem Friedhof warme Luft,
der Geist der unlängst begrabenen Neunzigjährigen,

die jahrelang nur von Schnaps und Brot gelebt hat.
Wir blicken in ihr Haus, sehen nichts,

laufen in panischer Angst zum Kornfeld, lassen uns
fallen, holen uns einen winzigen Trost

von den glimmenden Satelliten,
den Fußabdrücken der Astronauten am Mond.

(1981)

(Erschienen in: Friede den Männern, Residenz Verlag, 1982)

Freitag, 16. März 2012

F-12 NATURDENKMAL

Ort des Nachdenkens:
der wiedergefundene Wald
mit den blauen Leberblümchen,
mit dem braunen Eichenlaub,
mit dem Wind, der hörbar
vom Berg heranschwillt, heftig
über mich hinwegschwappt,
meine Herzstille ertappend;
Ort des Nachdenkens:
die hellgrüne Talsohle
mit dem frisch geschlägerten Holz,
mit dem Traktor daneben,
kein Mensch weit und breit,
nur der Pilot da droben
im Helikopter - Marx oder Freud-,
der sein Hirn vornüberkippt,
das aufklatscht am einsamen
Steinblock inmitten der Wiesen
vor mir, daneben ein Schild:
Naturdenkmal.

(22.3.1981)

(Erschienen in: Friede den Männern, Residenz Verlag, 1982)

Dienstag, 13. März 2012

0094 - IM PRINZIP

im prinzip am sonntäglichen kater völlig unbeteiligt sein
im prinzip aus der sicht einer dreikindermutter
(in wirklichkeit vermutlich eine alte jungfer)

und dagegen gesetzt die am samstag sonntägig
(wie ich mirs vor stelle) rauchenden jungen männer
mit ihren behaarten unterarmen auf den ausdünstungen

ihrer untergebreiteten pölster mit ihrer (unter den augen
einer neugierigen katze) so selbstverständlich weggeblasenen
wochenendlangeweile im prinzip von liebe sprechen

von schrecklich verhemmten wörtern von der notwendigen
wortkargheit von den absonderungen eines begonnenen briefes
der beim wort heirat abgebrochen wurde im prinzip

verheiratet sein mit einer stets (abwesend) gereizten
reizend reizlosen fleischlich fleischlosen inkarnation
von liebe das heißt des augenblicks wo sinn

und berauschung zusammenfiel kartenhaus totenhaus
und stets sich bewußt (bei der wiederholung des wortes prinzip)
bewußt der sicherlich unbewußten (sich verstärkenden)

verschleierung des sinns im prinzip (und das argumentierend sanft sogar)
gegen die leichtsinnig versprochene todesminute sein provoziert
vom anblick eines weges prospekts wo der weg abfällt

und abfallend sich hinter dem gebüsch (des friedhofs)
ins ungewisse verliert und dagegen gesetzt
die reinheit einer schnurgeraden pappelallee

wo sich der weg nicht verliert sondern sanft aufsteigend
entschwindet im prinzip also gegen die idylle
und doch zugleich an den plätzen der idylle

zuhaus zu aufgesparten auswegslosen zeiten da es heißt
aufreizende abwesenheit (so im schweiße steckend)
abwesenheit zu motivieren (vor allem vor sich selbst)

mit der prinzipiellen sehnsucht nach der klarsichtigen berauschung
durch zum beispiel dralle (brünstige) friedhofsnatur
durch das aufklappen des feldbetts (jederzeit möglich)

unterm (jederzeit möglichen) (sinn)himmel
in die strahlen einer (jederzeit möglichen) (sinn)sonne
eines (sinn)monds (sogar über den gräbern) sagst du

(so.9.5.1971)

Sonntag, 11. März 2012

0093 - KRIMIDYLLE

das stille glück in der backstube dauert nur fünf monate dann
sagt sie zum ihm sie sei schon im fünften monat dann
schmiedet er einen teuflischen plan dann
hebt er mit einem gestohlenen spaten vorm dorf ein grab aus dann
besorgt er sich aus der nächsten apotheke 300 cm3 äther als treibstoff für sein
modellflugzeug wie er sagt dann
fährt er nachts seine geliebte auf dem moped in den wald zum grab dann
sagt er keine angst ich tu dir nichts dann
holt er die flasche tropft das mittel auf den mitgebrachten lappen dann
drückt er ihn samt der süßlich riechenden flüssigkeit auf ihr gesicht dann
bricht sie ohne einen klagelaut zusammen dann
reißt er seinem opfer die kleider vom leib dann
schleift er es in die grube dann
schaufelt er sie zu dann
kehrt er ins dorf zurück und legt sich schlafen dann
sagt der bäckermeister er war fleißig und freundlich wie immer er hat der polizei
(fleißig und freundlich) bei der suche in den wäldern geholfen dann
wiegt er sich in sicherheit dann
findet man die tote dann stiehlt er einen roten opel rekord dann
rast er ohne führerschein nach süden dann
nimmt die polizei seine spur auf dann
stellt sie ihn in einem wald dann
gesteht er den mord zu toben beginnt er erst als er das ergebnis der obduktion
erfährt: die hat nur schwanger gespielt damit du sie heiratest

(do.25.3.1971)

Donnerstag, 8. März 2012

0092 - DOUBLE BIND

zwischen zwei botschaften
wörtlich und metaphorisch
desorientiert
präschizophren

von denen eine
die andere negiert
ergreif ich den stock
überm kopf und werf

ihn weg: mein meister
akzeptiert dies als antwort
und versuchungen
sadomasochistischer art
liegen zerbrochen am boden:

von zwei ebenen
durchschnitten
erkenn ich ihren modell/
materialcharakter:

erleuchtet steh ich
im zentrum der doppel
bindung beziehungslos
stark oder schwach

(so.7.3.1971)

Dienstag, 6. März 2012

0091 - WIEDERGEBURT

jeder raum ist ein fernsehraum im spielzimmer
sind sogar vier (das heißt in jeder ecke) fernseher
sie malt im vorübergehn fernsehend kocht fickt
topfit fernsehend ständig retinal im kontakt
mit der schwarz weiß blutenden
wirklichkeit das fördert die chancen
der wiedergeburt sagt sie

blinddarmdurchbruch
bauch und rippenfellentzündung
drei von acht schuljahren im bett
das fördert unendlich die chancen
der wiedergeburt sagt sie

jetzt hält sie sich nur mehr
oben in einer buchenkrone
in ihrer baumhütte auf
mit einem luftdruckgewehr
immer wieder vergeblich ihr versuch
auf einer reihe von gießkannen
auf einer wäscheleine quer
durch den verwunschenen garten
ihre vorgeburtlichen namen zu buchstabieren

(do.25.2.1971)

Sonntag, 4. März 2012

0090 - LITERATURPRODUZENT

ich als
literaturproduzent scheinproduzent tret
hier in hemdsärmeln mit
dem armensünderglöcklein
am hals mit einer
vernunft scheinvernunft mit sehr gesunden
zähnen und schlechten
träumen aus den kleinen alltäglichen
häßlichkeiten raus aus

um mich
schlagend treff ich einen kleinen
kreis scheinbar
eine welle meine hand
ist ein elektronisches medium

betroffen
seh ich
die unverwundbarkeit
dieser masse

(februar 1971)

Mittwoch, 29. Februar 2012

E-13 29. FEBRUAR

zum Februar hin hält die Zeit langsam an.
Der Letzte ist zugleich die Mitte des Jahres,
deren gar nicht verfrühter Vorbote, schon
mit Frühlingsgestürm, Temperaturanstieg,
Regenschauern, Schatten und weiße Sonne.

Sprießen, Getriebe unterm Haus in dieser Erde.
Feuchtigkeit, Trockenheit, jähe Weiterentwicklung.
Wechselhafte Tage und Stunden in Sekunden. Schauder,
Erwartung, Hoffnung, auf alles gesetzt, auch Angst.

Heute noch nicht verloren, morgen vom Erdboden verschluckt.
Bis zur Wiederkehr eine Ewigkeit, zugleich nur ein Schnipser.
So durchlebt sich dieser Tag, schon angebrochen,
Punkt Mitternacht sein lautloses Ende. Oder Trompeten.

Dann schnell grüne Bäume, Bäume in Pracht, Bäume
mit singenden Vögeln, kotige, schrundige Wege,
die zuwachsen, frei laufende Hunde. Zikaden, grüne Felder,
Lieblingsblumen, Lieblingskraut, Efeu, Betäubung mit Geruchssinn.

Bach, Wehr, Baumhaus, Schneeglöckchen, Anemonen, Primeln.
Farn über mir, wächst mir durch Mund und Ohren. Im Augenausschnitt
rauscht der Himmel vorbei, ändert im Sekundentakt
die Farbe. Das Herz, noch ein sehr junges, hüpft und schreit.

Es wird ein gewöhnlicher Tag mit gewöhnlichem Essen sein,
zugleich ein Festmahl in freudiger Trauer,
trauriger Freudigkeit, Ächzen und Scherzen, Ironie.
Die Februargäste, die dann unten am Tisch sitzen werden:
morgen - im März - spurlos verschwunden, als wär schon Silvester

(Mittwoch, 29.2.2012, 8.44 Uhr)

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