Donnerstag, 15. Dezember 2011

EU-13 SCHWARZWEISS (BRIXTON ROAD)

hinter dem Schwarzen im roten Bus
mit dem weißen Mini-Handy am Ohr
die ganze Brixton Road entlang,
und noch weiter, hin bis zum Piccadilly –

neidische Blicke auf schwarz-weiße Paare,
einander heftig umarmende Flanierer,
was hieß: er verdrehte die Augen
nach draußen, lachte, gurrte: ah ah ah

wollte gleich das Vollbild, wo
ist dein Vollbild, hast du eins, schicks mir,
wann, gleich jetzt! Und: Hast du Zeit,
nie hast du Zeit, heut abend, wo bist du,

du mußt kommen, ich warte –
so viel gespielte Verachtung und Hohn
für weiße Londoner Mädchen: ah ah ah
mit versagender Stimme, die Haut

an den Fußsohlen reibend, streifte
über die Nägel, fast unhörbar, nur
sein Atem kam näher, wie er tief Luft holte,
während des Lachens zu röcheln begann,

wie ihn ein Husten aus dem tiefsten Innern
überfiel, nicht mehr zu stoppen war ,
Gekeuche, schon am Boden, krumm,
um ein bißchen Liebe und Sauerstoff

(Sonntag, 6.8.2000, 22.40 Uhr, London)

Dienstag, 13. Dezember 2011

EU-12 SCHWARZE WELT (ELECTRIC AVENUE)

saß nur rum, aß und trank nichts, während
alle anderen, schwarze Mädchen, schwarze
Frauen und Männer, tranken und lachten,

auch etwas kauten und rauchten. Saß festgeklebt
auf diesem Drehstuhl, dem Plastikbelag,
schweißig, offenen Munds wartend - worauf?

Unentwegt Busse. Vor der geschlossenen
U-Bahnstation in reflektierenden Westen Schwarze -
setzten sich auf den Boden, tranken lachend.

Schwarze aus den Bussen hasteten vorbei, trugen
Taschen, Köfferchen, Plastiksäcke, Möbelstücke,
Radios. Standen da, stiegen ein und aus, gingen

in Nebenstraßen, kamen aus Gebäuden,
gingen bei Türen rein, bei andern raus -
herrlich unaufhörliche Menschenvermehrung!

Kinder zwischen den Beinen, unter Tischen,
spielten Fangen, Ball mit Obst. Schwarzer Hut,
Tigerpelzbesatz am Mantelkragen - diese Frau,

hüftschwingend verschwunden, war wieder da,
beugte sich runter zu den Früchten, schwenkte
Körbe, lustwandelte, während sich die andern

mit dem Einkaufen, Irgendwohin-Vorrücken
ungemein abmühten. Sah eine Unmenge Füße,
zwischen den Schenkeln Hemdzipfel, Daumen,

vergrößert, halbe Gesichter, Kassa, Bangladeshis,
mißmutigen Mammis zunickend, lächelnde Irin
in transparenter Bluse, überraschend mit einer Rechnung

auf der Handfläche. Draußen, hinter gespannten
Muskelarmen, blaue, auch rosa Blicke, stachen
unter Threadlocks, Turmhauben hervor. Schließlich –

bitzlige Finger auf kahlen Hühnerleibern,
Fischen, die bluteten. Biß wie die andern auch
in Orangen, schlürfte blindlings Saft.

Schluß damit: hob mich von meinem Ausguck .
lachte über die fleckige Hose, gehunwilligen
Schuhe, die rot-weiß-roten Zehen darin

(Samstag, 5.8.2000, 21.50 Uhr, London)

(Erschienen in Eurotunnel, Literaturedition Niederösterreich, 2005)

Samstag, 10. Dezember 2011

F-14 KAPITÄN GODOT

Im ersten Akt zunächst Cricket,
dann der Motorsport, das Boxen,
dann ein streunender Hund, die Schnauze
witternd am Boden, der den Traum
der Träume entdeckt:
Ich war nie ganz geboren.

Darauf im verdunkelten Zimmer
im Bett neben der Aufräumefrau,
die ihm sprachlos die Socken stopft,
neben dem erlaubten Bier
(eine Flasche pro Tag)
der Scheinkampf gegen die Fuchtel
der allgegenwärtigen Mutter:
sich von Krise zu Krise schweigend
vom eigenen Körpergeruch aufgestachelter Schöpfer;
verzweifelt kreiselnder Punkt
über einer tiefen Leere, zitternde
Kugel über seinen Stehauf-Frauen.

Schließlich: Wiederholung
der Vergangenheit, umgeben von Krüppeln,
Diabetes-Onkeln, immer wieder
auf der Flucht, ein schlechter
Hirt im Frankreich Vichys, ganz dürr
am Rücken einer Schneiderin,
die ihn bis zum Krepieren ernährt.

Am Schluß der Vorstellung
gerät er besoffen in eine Drehtür,
findet nicht raus, das Publikum
lacht sich halbtot: aber er
läßt sich auch jetzt
nicht zum Reden verleiten,
versucht mit spitzen Joyce-Schuhn,
in der Hand eine kindgroße
Hühneraugenpuderdose, flügel-
schlagend immer wieder
die Kulisse zu besteigen.

(1980)

(Erschienen in: Friede den Männern, Residenz Verlag, 1982)

Mittwoch, 7. Dezember 2011

F-11 SOZIALBERICHT

Das Wort Sozialbericht
im Gedicht, das Wort
Gedicht. Das Wort Konjunktur-
aufschwung, das Wort
Arbeitslosigkeit, das Wort Armut.
In der Badewanne am Abend
mit nassem Kopf, auf meinen Knien. Haupt-
und Nebensätze, Haupt-
und Nebenwidersprüche, sozial-
partnerschaftlich bereinigt. Erstens -
neben dem wachsenden Handelsbilanzdefizit
drücken sich die Strukturprobleme
auch in der hohen Insolvenzenzahl aus. Zweitens -
Schwierigkeiten am Arbeitsmarkt
haben vor allem ältere Arbeitnehmer,
bedingt Vermittlungsgeeignete
und Frauen. Drittens -
die Lohnquote sinkt, es steigt
die Gewinnquote. Viertens -
unverändert bleibt die Einkommensungleichheit.
Ich fühl mein Herz, Disharmonie
zwischen rechts und links, oben
und unten, Tachykardie. Aus dem Kabinett
hör ich die nächtlichen Schreie,
das Hüsteln und Räuspern aus dem Lichthof,
bis das Kind dann da steht,
blauäugiger als sonst: das dicke Buch
soll ins Wasser, schwimmen.
Klar ist der verhüllte Kontext,
mein Mikrokosmos: die Ängste
und die Ursachen der Ängste,
ihre irrationale Paradoxie
auf dem Hintergrund ihrer eindeutigen
Unkenntlichkeit: wo
stecken die Vermittler
zwischen mir und dem makrosozialen System?
Das Wort Wirklichkeit
im Gedicht, das Wort Schmerz.
Der Schritt über den Wannenrand,
die beiden Häute, kurz aneinander,
das zapplige Streben hinunter
zum festen Grund.

(4.9.1981)

(Erschienen in: Friede den Männern, Residenz Verlag, 1982)

Montag, 5. Dezember 2011

F-10 DIE ZÜRCHER KRANKHET

Von selbst reißen sich
die Pflastersteine aus der Straße, die Pelze
flüchten aus den Schaufenstern,
Goldschmuck versteckt sich im Rinnsal oder
hinterm Stacheldraht der staatlichen Drahtzieher.
In den Betten der aufgerichteten Bürger
knirschen die Scherben. Wasser
rauscht ohrenbetäubend durchs Zentrum,
Gas erzeugt ein Gelächter,
das jeden Widerstand erstickt.
Brennend kurven die Koloniakübel
zwischen den Sitzreihen der Theater. Gummigeschosse
springen in geschlossene Augen,
Fleischstücke erheben sich blutlos,
das Schmatzen nimmt zu, Rülpsen
und Furzen, zündende O-Ton-Musik
für die stehengebliebenen Uhren.
Der goldene Eisbär geht um, küßt jeden,
bis sein Stahlmantel schmilzt,
bis die Betonkruste zerbröselt.
Am Packeis schrumpft die Stadt
zu einer harmlosen Miniatur.

(19.3.1981)

(Erschienen in: Friede den Männern, Residenz Verlag, 1982)

Freitag, 2. Dezember 2011

E-09 SIEBEN (ODER ZEHN) DINGE

Achtung, das ist ein höchst sensibles privates Unternehmen, das nie
jemandem öffentlich eine Abfuhr erteilt, auch nicht (1) „Lee Walker“,

der – für mich erstaunlicherweise – (2)„Ende des Jahres Darlehensfazilitäten“
vergibt, wobei ich anscheinend (3)„auf seine Neuen kunden“ zähle,

daher mich von (4)„auf Zwei Prozent“ in einem leider nur (5)„minimalen
Bereich“ profitieren lassen will: (6)„von 5,000 € bis maximal € 100.000.000“.

So etwas habe ich schon seit langem erwartet, wie jeder der ständig
Klassenlotterie spielt und nichts gewinnt. Dann sucht das Glück eben

einen anderen Weg, den speziellen über „Lee Walker“ zum Beispiel ,
der mich jetzt als Hans im Glück spazierengehen lassen will, vorerst, denn dann:

(7) „geben Sie sterben“, was ich gleich als „gehen Sie sterben“ lese, erschrocken,
und das inmitten von Abfall und Sonne (drei volle Mistkübel in der Sonne,

draußen vorm Haus): „gehen Sie sterben“, das hieße für mich: Stecken Sie
den Kopf in den Sack (oder Sand?) und warten Sie, was dann passiert: (8)„Wenn

interessiert, Wie unten dargestellt“. Kein Bild nur: (9)„Name ---- Amount ----
Dauer ---- Telefonnummer ---„. Das genügt. Und noch (10):„Grüße“. Ich grüße

zurück, „Lee Walker“, sehr herzlich. Was an brauchbaren Dingen da draußen wirklich
drinnen steckt – ich zähle sie nicht, nicht jetzt. So verzicht ich auf Glück und Gewinn

aus der einmal nicht überfüllten Mailbox und verlaß mich ganz auf Recycling aus dem
auf einen Wink hin polternd heranrollenden Container und Tauschhandel

(Samstag, 26. November 2011, 12.24)

Mittwoch, 30. November 2011

D -15 DIE WEISSNICHT-AFFEN

die Weißnicht-Affen im Wasser, im heißen Dampf
inmitten der tiefwinterlichen Umgebung,
hatten rote Gesichter.

Sie wollten das Becken nicht verlassen,
auch nicht, als sich eine fast nackte Frau zu ihnen gesellte.
Die Weißnicht-Affen schwammen nicht,

sie hockten an verschiedenen Orten
in Paaren oder Gruppen zusammen, wie erstarrt.
Ab und zu lauste einer den andern, tat so,

als würde er dabei kurz einnicken, mit erlahmenden Fingern.
Es war ein Loch im Felsen, ein Loch in der Landschaft –
Punkte im Wasser, die sich bald nicht mehr abhoben,

ein dunkler Fleck, der immer kleiner wurde,
im aufragenden Schneebezirk.
Erinnerung, daß es irgendwo so etwas gegeben haben muß,

mit Menschen, die sich schwemmen ließen
von einem heißen kräftigen Wasserstrahl,
aus einem riesigen Maul.

Ich war dort, ohne zu wissen,
wie ich hingekommen sein könnte.
Glasklare Oberfläche, kein Eintritt

(Erschienen in: Das leere Kuvert, Bibliothek der Provinz, 2002)

Montag, 28. November 2011

D-14 AM DONAUKANAL IM FILM

muß, am Anfang, ein Blick sein
wie dieser: schwarzer Augenglanz,
hängende Lider, Kabuki-Mund,
gerötet; und gleich Vatergejammer:

liebt mich nicht, aus der Nähe,
auch nicht aus der Ferne; und Mutter-
Versessenheit: ist arm, ohne Geld,
braucht Hilfe; muß sich allein

über dem Wasser halten, zieht sich aber auch
selbst den Boden unter den Füßen weg.
Doch hier, in der Fremde, erste große
Schneeflocken, wunderbar taumelnde,

in der Zwischenhofödnis.
Und ihr Herz im Handgelenk,
ganz sanft, mit Knöchelchen,
wie vom Zufall unter der Haut

versteckt; rundum Nässe, schnell
verdunkelt. Bald kein Lippenrot mehr,
erloschen in Nächtlichkeit,
in den Schatten gnädiger Lichter, sie selbst

im Film, der gleich folgt, verschwunden,
als eine der Hauptfiguren,
eine Art Schutzmanteljungfrau für Greisinnen,
die sie für ihre Hilfe beschimpfen.

Bald wieder raus aus dem Schädel
der Nonne, reuigen Nutte, deren Sohn
am Auto der angehimmelten
Schauspielerin schmählich verendet.

Noch immer: spanischer Frauenchor,
muerte muerte, auf der Leinwand.
Und sie, danach, sehr in Not: blutleer,
nun fast kein Puls mehr. Will trotzdem

das Kaiserschnittbaby sein, das die Mutter
nachträglich umbringt. Davon jetzt keine Rede
am Donaukanal, im schnöden Westwind,
der Schnee herbeischafft, schweigendes

Spiegelwasserschwellen, ohne direkte
Verbindung zu ihrem türkischen Meer.
Die nächsten Wochentage lauern, notorische
Anstrengungen, Schmerzen, gleich in der Nacht,

die nach dem Film beginnt, noch
am selben Tag endet: Uhrzeit,
gegen den Uhrzeigersinn.
Raus aus dem Kino, dem Nordwinter, ins Bett,

unter die Tuchent, zu den fünf Bären -
ihre Trostsprachepartner, Heimatrestwärme.
Doch sie schweigt. Morgen will sie endlich
ein neues Leben sehen, sich selbst, in Liebe

(Samstag, 20.11.1999, 7.o5)

(Erschienen in: Das leere Kuvert, Bibliothek der Provinz, 2002)

Samstag, 26. November 2011

D-13 CHANTAL 2

erstarrt zur Puppe in einem Sarg-
zwischenraum, Fluchtreflex
aus der Ödnis des Doppelbetts -

so bewahrt sie ihr Selbst; bereitet
das Ausschlüpfen vor. Halbe
Gliedmaßen als Atmungsorgane,

die sich irgendwann aufpumpen,
um sich endgültig von diesem Hotel zu befreien.
Leblos als Tarnung nach dem Anfall

vorm Spiegel. Haut, Kleid als Kokon
um die Flachhöhle samt Organen. Als Vorrat
Blut und Luft. Nachtzustand,

vorweggenommen, Kopfaus-
wüchse, nachtrüßlige
Nachtsaftsüße. Fruchtsaugerin, inmitten

von Zitrusbildern. Ihr Überlebensgeruch,
nur für sie, Aidsbotin
oder Botin einer Unschuldsliebe,

die Säulen erklimmt, Mauerlöcher durchstößt:
in ihren Armen anheimelnde Rosen-
sträuße für Passanten im Liebesdornwald

(Sonntag, 21.11.1999, 15.01)

(Erschienen in: Das leere Kuvert, Bibliothek der Provinz, 2002)

Mittwoch, 23. November 2011

D-12 CHANTAL 1

Chantal, in den schmalen Spalt
zwischen Kasten und Decke geflüchtet,
hineingepreßt, Körperschaft, weiblich, nur
rechtes Bein, steif, im Strumpf, hochhakiger

schwarzer Schuh, zittrig, baumelnd,
puffartiger Halt, im Vorzimmer zum Bad,
wo das Video läuft, drauf sie, wie verrückt turnend,
in Blau, blauem Taft, Haare im Ostwind,

die Gummiband-Gliedmaßen verteilt im Raum,
Schuld-Tat, demonstrative: warum schreit sie nicht,
warum fällt sie nicht von der Decke, warum
gelbe Blüten, schon aufgeplatzt,

auf dem schneeweißen Bodenteich? Und für wen
diese Schmerzübung, zu wessen Bestrafung?
Paar, im Zuschaun blödböses Lächeln,
das sie zusammentreibt zu einem Schnellfick,

der ihre unbewußte Zeugenschaft ausnützt.
Chantal, dem Doppelbett, der Orangentapete
entwischt, dem ekelhaften Schwung der Lampe,
ins unwirtliche Versteck, zur Hälfte

jedermannsichtbar: nach der verzweifelten
Anprobe, deren Projektion auf die Zimmerwände,
blauer, roter Taft, Collier, Dekolleté,
Haarspray, Schminke, Stola: nichts paßt; nichts

rettet den Anlaß. Wir, jetzt davor, schauen auf,
knien nieder vor ihrem einbeinigen
Rumpf-Popanz. Gib uns ein Zeichen,
verrat uns deine wahre Pein! Gib uns

ein Zeichen, erzähl uns die Sekunden
in dieser selbstgewählten Finsternis, deinem
Fleischleibgefängnis! Wir locken,
löschen uns aus, in unserer unvoll-

kommenen Nachfolge; pausenlos
pulst das Herz, pulst eine ferne Stimme
im Blütenzauber, Regen der Geschenke.
So ist es: Büßerbereitschaft, die uns in flagrante

Ekstase treibt, aus der Einbildung
aller anonymen Blicke, die uns treffen müssen,
anfeuern zur maßlosen lebens-
rätsellösenden Selbst-Verleugnung

(Sonntag, 21.11.1999, 8.00)

(Erschienen in: Das leere Kuvert, Bibliothek der Provinz, 2002)

Montag, 21. November 2011

D-11 POST MORTEM

als der Sarg hinabsank,
dachte ich: für immer
unter der Erde, sie,
von der ich so wenig
wußte, ihr plötzlich
erkalteter Leib.

Ich erschrak: sie hatte
ein Grab, ich keins.
Ich würde auch nicht
dafür sorgen wollen.
Ich wollte kein
ungeliebter Name sein,

mit dem ein zufällig
Vorbeikommender nichts
verband. Mein Name
sollte mit mir
verschwinden. Ich wollte
nicht in die Erde.

Nur kurz die Verlockung,
auf den Gebeinen
der Eltern zu ruhn.
Zum allerletzten Mal
auf den Erzeugern
wie ein Kind

aufsitzen, langsam
in sie hineinsickern,
zu einem Knochenwirrwarr,
ununterscheidbaren.
Ich wollte in die Luft
aus einem Rauchfang

entweichen. Ich wollte
als weißliche Asche
Dünger sein für ein paar Blumen
auf einem Fensterbrett
im vierten oder fünften Stock.
Ein bißchen Nahrung

für ein bißchen Zeit.
Ich wollte in ihren nächsten
Blüten aufleuchten:
letzter Wille,
letzte sichtbare Form,
prächtige Stille

(Samstag, 1.5.1999, 21.10 Uhr)

(Erschienen in: Das leere Kuvert, Bibliothek der Provinz, 2002)

Samstag, 19. November 2011

0081 - INDIZIENFALL

eine scharfbegrenzte blutung am linken auge mit einer schwellung bis zur linken schläfe
je ein bluterguß in beiden schläfenmuskeln
eine blutung am linken hinterkopf
eine scharfbegrenzte blutung (elliptisch) an der rechten halsseite (fingerabdruck?)
drei parallel laufende kleinere blutungen in form von fingerabdrücken an der linken halsseite
oberhalb des schlüsselbeins
risse des unterhautstützgewebes und der halsfaszie risse der muskelmasse des
kopfwendemuskels
eine blutung unterhalb der schleimhaut im bereich der linken grube des kehlkopfs
eine 3 cm lange blutung an der vorderen bauchwand
eine quetschung der wand einer krummdarmschlinge blauschwarze verfärbung dieser stelle
über etwa einen halben meter verursacht von einer inneren blutung
eine blutung hinter dem bauchfell in der höhe des vierten und fünften lendenwirbels
blutunterlaufene stellen außen und innen am linken oberarm
eine blauverfärbte blutung an der innenseite des linken schienbeins
eine blutung an der rückseite des linken ringfingers sowie ein hautriß am kleinen finger der
linken hand

(so.20.10.1970)

Donnerstag, 17. November 2011

0080 - RUHE

keineswegs in unserer ruhe stören uns
glockengeläute motorenlärm badende
küssende Dürers weltberühmtes schlappohr
zwischen den beinen das porträt eines grobknochigen
guys von David Hockney als gesicht überhaupt
nicht geburtstags- oder altdeutschsüchtig
für männliche reize völlig unempfänglich
hier an irgendeinem griechischen meer jugoslawischen
unter italienischem mittagslicht aus den wolken
strahlende bodenwärme die entdeckung
des früher das heißt: vor wenigen jahren
in den träumen woran man unentwegt grübelt
freunde friends nicht die amis die es hier nicht gibt
nur die plötzliche unmöglichkeit weiterzureisen
was heißt so wie damals unbeschwerte
rücksichtsloskeit rhythmische erleuchtung
nur mehr festes vieldeutige festgefahrenheit
die mauern abschlagen die elektrischen
leitungen anfassen hier in der fremde
und ruhe wenn man vom wind absieht
nur ab und zu ein winziger herzstoß

(august 1970)

Dienstag, 15. November 2011

0079 - HEUTE: DIE SPHINX

die sphinx spricht heute nur über ihre vergängliche schönheit
hat sorgen mit poren kalkarmut einrichtungsdetails
weissagungen über einen ohnehin in der luft gelegenen wetterumschwung
sie spricht über ihre melancholie (angeboren) ihre neigung zur selbstüberschätzung
ein irrer kommt einer mit einem funkensprühenden panzerfahrzeug schießt mit gummikugeln
er schimpft sich zu irgendeinem lächerlichen griechischen gott hoch
die vögel umkreisen die tische unter den bäumen schwatzen auf die essenden herab auf ihre
löffel köpfe
die tests zeigen wie leicht amerikaner zu nazijobs zu gebrauchen sind: die richter der
sklaven als sklaven der gerichteten
die vögel schwatzen auch auf die sphinx sie enthüllt sich sie ist ein transvestit mit langen
gekräuselten schamhaaren
mit blauen flecken übersäte leiber füllen die spitäler eine unbekannte eiskrankheit
hitzeerscheinungen/folgen
aus der nichtexistenten klinischen küche kommen wunderbar wohlschmeckende speisen
jedenfalls in den reden
bald werden die gesichtsmasken nicht mehr nötig sein der klimawechsel wird die poren
schließen

(di.4.8.1970)

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„...Dies ist der Versuch eines komprimierten Familienromans, zugleich ein Reisebericht, der an einen Ort führt, wo die Kriegsschäden an den Menschen und deren Behausungen noch unverhüllt sichtbar sind. Lena und Stefan, von den gegensätzlichen Seiten der Geschichte kommend, unternehmen, sich zwischen Überlebenden und deren Nachkommen bewegend, einen Versöhnungsversuch...“ (Klappentext)

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