Sonntag, 13. November 2011

E-08 SONNTAGS, ANMUT & WÜRDE

im Ganzen genommen egal, ob Dienstag, Mittwoch,
Montag, Samstag oder Freitag: auch heute, am
Donnerstag, besteht Hoffnung, daß der nächste
Sonntag noch erreicht wird, vielleicht ein fetter
(mit Fischfett, fettem Gefühl, samtigem Fettgewebe);

daß sich die Wettervorhersage prompt erfüllt
(Sonnenscheindurchbruch in weiten Teilen des Landes),
sich auch etwas – oder mehr - von der Anmut des
weiblichen Geschlechts neuerlich enthüllt, nicht nur eine
gewisse körperliche Basis, sondern gleich Biegsamkeit

(so biegsam in etwa wie die Anti-Silvio-Nackten in Kiew -
so wechselhaft unübersehbar präsent in den Medienhirnen)
und die sittliche Harmonie der Männer, auch ihre
Schönheit, die sich nicht nur in Reih und Glied marmorner
Statuen zeigt, in beharrlichen Leibesübungen, im Marathon

sexueller Bemühungen, auch in triefenden Wanderstiefeln
beim Durchmarsch durch die Donauauen,
im farbleeren Dickicht, im dumpfen Laubgewölle,
im Napoleongehege. So wird dem Charakter
schon im voraus ein wenig die Dichotomie

abgelassen, die Geschlechter nehmen die voneinander
aufgelesenen Spuren und Eindrücke wahr,
herbstlich getrimmt, als Austauschgeld - nicht unbedingt
traurig, womöglich spielerisch, Gehüpfe von einem
Standbein aufs andre, das eine Frau, das andre Mann

(Donnerstag, 10. November 2011, 16.33)

(Siehe hier und hier)

Donnerstag, 10. November 2011

L-10 NOTIZ ZU Z.

Tampons, Pfropfen in Zeitungspapier,
Monatsblutspritzer an den Wänden,
schiefe Betten auf rutschigen Parkettböden,
ein Bonmot nach dem andern,
an der Donau, im Wäldchen, beim Flughafen.

Die geraubte Jugend,
die entgangenen Freundschaften,
keine Tänze, keine Verrücktheiten,
die jemand geahndet hätte. Weibliches,
das noch nicht entschieden war. Wunden,
die funkelten, und am Kaputtwerden
arbeiteten, mit Entzücken

(2005)

Montag, 7. November 2011

O-15 HYMNE AN DICH

ich dachte an dich, wie an keine andere,
oder eine, die ich in- und auswendig kenne.
Wie befremdlich: wir gingen nebeneinander,
und ich erkannte dich nicht.

Ich rief dich nicht an, vergaß
voller Absicht deine Telefonnummer.
Du erzähltest mir freiwillig deine Träume,
doch ich stieß mit Fragen nach, unerbittlich.

Deine Tränen amüsierten mich, ich schürte
den Mut zur Häßlichkeit, lobte zugleich
deine Ohren, Öhrchen: wenn du die Haare
oben hattest, Nadeln darin.

Riß sie aber immer wieder, wenn die Hand
den Polster verschob, stopfte sie, schon schlummernd,
in mich, erwachte mit ekligen Knäueln
auf der Zunge, Gewürge.

Wie oft erwartete ich neben dir den Schlaf,
zuckte zurück, wenn deine Zehen
zu bohren begannen, deine eisige Hand
sich zwischen die Beine schob, mich zwickte!

Ich konnte nur deine Zunge verdrehn,
meine Augen schließen, Belag auf Belag,
und das im Geruch nach Milch -
strömendes Euter, Lakenluft, brünstige.

Du wußtest, daß ich mit dem Schreiben
hinter dir her war: schrieb alles auf,
was du sagtest, tatst, nicht tatst, hättest
tun können, verbarg das Geschriebene,

kam aber in Gesprächen darauf zurück -
da lachtest du hell auf, mich verkleinernd,
die Mühe, die ich für dein Leben aufwandte,
sie sollte ja uns beide steigern, zu vergeistigten Dubletten!

Dann noch diese Statistiken, Tabellen,
die Vergleiche über Jahre gestatteten,
über Zeiten des Aufwachens, Einschlafens,
der Schlafdauer, Dauer von Tätigkeiten, Häufigkeit

des Verkehrs, Intensität, Hartnäckigkeit,
über Symbolismen, Andockversuche
an andere Leben in Gesellschaft und auch in der
Bettleseeinsamkeit. Und deine Manien!

Wanderaugen am Tisch, wischbereite Hände,
und Tadel für unwillkürliche Äußerungen,
Tadel für Furze, Rülpser, Flüssigkeiten
im Gesicht, klebrige Bodenstellen.

Dein Aberglaube: gabst dieses zu, jenes nicht,
Zählreime etwa, die so vieles abwenden konnten,
vorgestellte Hüpfbewegungen, auch die Anwesenheit
des Teufels, Genossen aus der Klosterschule, ironischen

Schattens über allem, Verdopplers, Verdünners,
Schlechtmachers, penetranten misanthropischen
Vaterverlängerers, Initiators der Liste deiner Phobien,
auf die du so stolz warst, die du noch ausbautest,

verbogst in eine fallweise rettende Lebensstruktur.
Tiere im Bett: alle hatten Namen, oft wechselnde,
konnten aus deinem Mund sprechen, mich auch
schlagen, in die Wange beißen, demütigen

zu Recht, wenn ich den Verweigerer hervorkehrte,
sardonische Seiten, Illusionen, poetisierende,
rohen Samengenuß. Nie kam meine Zunge dorthin,
wo du sie begehrtest. Nie hieltst du

so lange durch, bis ich wirklich zusammenbrach.
Ich fügte mich gern, verkörperte noch immer
den Wickelpolstermann, stocksteif, unansprechbar.
Irgendwann kam dann doch deine Hitze in mir hoch,

immer, wenn es zu spät war, mitten in deiner bleiernen
Müdigkeit oder in meiner kindischen Verhemmung.
Wer schenkte dir diesen schäbigen Männerpyjama?
Und woher kam dieser Stammbaum, der mich fast erschlug?

Riesenschachtel zwischen den Tellern auf dem Tisch.
Anstelle des Essens Zurückblättern in eine sehr schnell
angeeignete Familienvergangenheit: Geschenk
eines verrückten Archivars, aus der Manie

eines in Stalingrad Gefallenen mit Germanenüberschuß
in Blut und Hirn. Doch auf diesen Kopien
vereinigten sich unsere Namen schon vor Jahrhunderten
an einem noch nie betretenen tschechischen Grenzort.

Weder Treue noch Schicksal, weder Reue noch Spiel,
nur dieser idiotische Trost: wir könnten uns jederzeit wieder
an der Stelle treffen, wo wir, im Streit, aufeinanderstießen,
zum allerersten Mal: keine Sekunde vorher, keine danach

(Montag, 25.09.2000, 17.10)

(Erschienen in: Obachter, Edition Korrespondenzen, 2007)

Montag, 31. Oktober 2011

E-07 DIESES BAD

Dieses Bad ist ein völlig gedichtloses Bad.
Es liegt zwischen Küche und Diele, der kürzeste Weg für den Transport
von Getränken und Speisen in die eine oder andere Richtung,
auch von unten nach oben, dinnen und draußen.

Dieses Bad hat eine Menge Kinder gesehen,
Kotze und Kot von Kindern, auch erwachsenen
Kindern, Frauenmädchen, Bubenmännern
und entschlossen versperrte Türen auf beiden Seiten.

Dieses Bad ist ein völlig gedichtloses Bad,
doch voller Gesichter: jede eigenhändig angebrachte Kachel
widerspiegelt jedes Gesicht, das je im erkennbaren Umkreis
lautlos oder lauthals schreiend aufgetaucht ist.

Dieses Bad ist ein Erinnerungsbad,
ein jahrzehntelang dunkel zuckendes Familiengeheimnis,
das sich auf ein einzigen brennenden Punkt zusammenschrumpft läßt:
den des gegenseitigen Erkennens, zugleich Verlassens

(Sonntag, 16.10.2011, 20.55 Uhr)

Samstag, 29. Oktober 2011

E-06 SUNDAY AT HOME

Tee aus dem Krug getrunken,
Tee mit Wasser aus dem Wasserkocher,
Honig aus dem Flaschenspender,
zwei Sorten, Kamille, Magenfein.

Hecke und Bäume beschnitten,
vom Klettermeister, seinen bosnischen
Handreichern – schöner indianischer
Mann in den Gurten, im Geäst.

Geschmolzene Plastikcontainer -
jetzt hinter Gittern die neuen, aus Metall.
Daneben nur Baumverschnitt,
no riots, no looters.

Nicht weit wärs zu Gewässern zum Angeln,
auch inmitten von verspäteten Nackten;
von Bäumen mit Stricken und Schaukeln
mit quietschend flüchtenden Enten.

Kein einziges Mal gestochen
in diesem Sommer, trotzdem
erstaunliche Zeichen auf Rist und
Schienbein – geritzt und eingebrannt.

Wer mich beißt, muß sich vorher
enthüllen: ich beisse die Äpfel,
die hautfarbenen Tücher darauf,
die Lippen meines Spiegelbilds

(Montag, 24.10.2011, 16.04)

(Siehe auch Janet Frame hier.)

Mittwoch, 26. Oktober 2011

0078 -MEHR MEHR

mehr alltag in die gedichte mehr rollos hinauf augenblinzeln unschlüssigkeit mehr gasgeben
mehr leck mich wegen einer kleinigkeit
mehr aus dem fenster starren
mehr erniedrigung mehr speichellecken mehr altweibergrips
mehr fernsehn in die gedichte
mehr überheblichkeit mehr nähmaschinengeräusche klorauschen babygeplärr
mehr jugendkult mehr massenmedien mehr alles über den haufen fanatismus
mehr ficken in die gedichte mehr ich weiß nicht was ich dir sagen soll mehr gleichgültigkeit
mehr korrosion rost abfall schrott in die gedichte mehr krrsn rst bfll schrtt
mehr freude an der zerstörung der freude an der zerstörung
mehr unregelmäßigkeiten bizarrerien:
du gehst hin und hebst
den ball nicht auf es ist ein ball
aus großen schwarzen sechsecken er würde
in der einbuchtung durch den fuß
erstarren (jedenfalls fürchtest du das)
mehr leute die das blaue (vom himmel) holen das rote (vom dach) das grüne vom
frühling (und sommer) mehr solche die die kleinen gemeinheiten (unerträglich!) doch ertragen
mehr blut in die gedichte
mehr andere flüssigkeiten scharfe sachen mehr wasser wasser gegen den durst ich weiß du
hast durst hier hast was zu trinken
mehr wasser als wein
mehr ungeordnete ordnung schlafengehn aufstehn biologischer rhythmus
mehr zärtlichkeit sagst du
mehr unfolgsame schüler lehrer in die gedichte
mehr handwerker in ihrer spätkapitalistischen lässigkeit
mehr abhängigkeit von der wettervorhersage
mehr gewissenhafte gewissenlosigkeit
mehr laster unzucht in die gedichte abtreiberei kuppelei (jedenfalls solange die
gesetze sich nicht ändern)
mehr blasphemien
mehr freunde die auf derselben welle schwimmen mit derselben wellenlänge
mehr frauen in die gedichte emanzipiert von kind&kegel maus&mann
mehr glück mit den frauen
mehr zärtlichkeit sagst du
mehr glück mit den wörtern
mehr bericht als gedicht mehr erkenntnis als bericht
mehr höllische banalität
mehr ökonomie des irrtums
mehr kleinigkeiten die ablenken
mehr kino china in die gedichte
mehr magenkrämpfe darmverschlüsse krebsverdachte brustoperationen
mehr kurzschlüsse in die gedichte
mehr gewitter mehr überraschende hagelunwetter mehr unter die-tuchent-vor-
angst-kriechen
mehr vergebliche anläufe zur flucht
mehr freude am letalen ausgang

(di.7.7.1970)

Montag, 24. Oktober 2011

O-14 VOM ZERBRÖCKELN DES CHARAKTERS

jemand dozierte über Blendung, Masse Mensch, zitierte Rushdie,
den wahren Titel eines Buchs: Vom Zerbröckeln des Charakters.
Ich dachte: Warum muß diese Frau in mir nur den Lügner sehn,
der nie aufhören würde zu lügen? Sie lachte hell auf, angeblich nur
über ihren toten Vater, der ihr vor Jahren erschienen war, im Traum.
Er gab ihr den Auftrag, nicht sie sich selbst. Ich bat sie, sich auf die Bank

zu stellen, auf mich herabzuschauen. Beugte den Kopf und schrie:
Vater, Vater! Schon vorher war ich entschlossen, mich nicht
zu unterwerfen. Keine Rechtfertigung, kein Hinknien, nicht einmal
eine Andeutung, kein zweckhaftes Betasten. Auch keine Geschichten,
die ihr den Kopf verdrehn oder gar Lust machen würden.
Wir gingen im Kreis, um den Ziegelturm von früher herum, außen

auf der Wendeltreppe hinauf bis zum Plateau. Von dort würde sie bald,
mit oder ohne Koffer, abfliegen, entschwunden sein nach Südosten,
zwischen zwei Augenblicken. Ihre nähere Zukunft – das Meer.
Salzwasser, nicht bei Sonnenaufgang – da wollte sie noch träumen:
von einem andern, losgelassenen Leben, mit Zeitmarkierungen,
die sie sich selber setzt. Zugleich immer noch oben im Flugzeug,

in der Bewegung durch die Luft zwischen zwei Orten, herbeigeweinten,
der Liebe und Wahrheit. Meditation, die das Rauschen ausblendet.
Auch die Medikamente, hilfreichen Frauenhandreichungen daheim.
Sogar das Wickeln, zur Körperverdünnung. Gewickelt, von oben
bis unten, auch der Kopf – Mumie, mit Plastiksäcken an den Füßen,
für das graue Körperwasser. So kamen wir in die Nacht,

ich ohne Orientierung, zu ihrer Erleichterung. Sie konnte das Gelenk sein,
ich der Gelenkte. Mit Schmiergeld, Dauerkatheder. Ein Hüpfen,
das der losen Kniescheibe. Schmerzte das Bein schon, als die Sonne
hintereinander mehrmals versank? War die Mitgängerin nahe Zukunft,
die sich in meine Traumwelt einschlich, neue Identitäten schuf, solche,
die sich schuldig fühlten, und solche, die beim Wort Schuld sofort zuschlugen,

aus schuldiger Erinnerung? Im Traum flog sie unter einem falschen Namen ab,
gleich in dieser Nacht. Doch im menschenleeren Flugzeug saß nicht sie
zwischen den Sitzen, damit auch den Geschlechtern, sondern ich.
Sie kam zu spät, an meiner Stelle. Wie ruchlos – Austausch als Ablenkung
davon, daß ich hinter allem her war, sie aber das meiste gleich ausschied,
aus Zeitmangel! Meine gestohlene Zeit, die sich blasig anfühlte, Atemnot

erzeugte, Einschnürungen in der Körpermitte. Ich, ihr Obachter, ließ mich
erhitzen. Sie aber wußte hautnah, was guttat. Hing am Lusterrest, Überbleibsel
des Vaters, baumelte nicht, ließ sich mit Schwung fallen. Landete
im Spitalsbett – bis oben voller Trauer, Verärgerung über sein lausiges Essen,
Mangellicht, Minimallust. Nichts wußte sie über seine letzten Minuten.
Im Traum hatte er jetzt keine Stimme mehr. Sie ahmte ihn nicht nach,

nicht unter meiner Führung. Identitätsverweigerung – aus einem Guß
sollte sie mir erscheinen. Und im Meer verschmelzen ihr silberner Badeanzug
mit der goldenen Oberfläche: beherrscht vom Wunsch nach Ganzheit,
Energieaufladung aus dem Weltall. So leicht würde sie sein: sie oben –
oder unten – an diesem Häutchen, sich darauf fortbewegend, ständig benetzt
vom zypriotischen Salz: entkommen der abendländischen Sonne, dämmrigen

Finsternis, den hiesigen Abzockern, die sie noch gar nicht kennt.
Flug, Meer, Charakter – so belohnte sie sich für ihr Ausharren, hoffte
auf Belohnung danach. Ich hingegen in Büchern versinkend, Schriften,
Bildern aus dem Internet, sich von selbst öffnenden, in atemlosem
Ehrgeiz, der nur von Zahlen abhängt, einem Rekord an Selbstverleugnung:
Schauen, Drehen, Laufen, Schnaufen rund um den herzlosen Monitor

(Mittwoch, 17.10.2001, 21.20 Uhr)

(Erschienen in: Obachter, Edition Korrespondenzen, 2007)

Samstag, 22. Oktober 2011

0077j - SIEBEN-TAGE-GEDICHT 10

hineingehend ging ich hinaus die worte sind mir entfallen
draußen blieb ich stehn strich mir übers blanke haar blickte
draußen (oder drinnen) blickte ich zum himmel (zur decke) er (sie) war sehr hell
mein genick ist noch steif die augen schmerzen noch immer
stehenbleibend drehte ich mich auf den zehenspitzen herum unschlüssig
die schweren schlüssel in der tasche unschlüssig
und du sagtest: du kannst dir deine worte sparen du kannst gehn

(so.5.7.1970)

Donnerstag, 20. Oktober 2011

0077i - SIEBEN-TAGE-GEDICHT 9

zwei vermummte tiere im traum katzenartiges elefantiges
beide laufen kein wettlauf ein wettschlenkern in schlotterkleidern
schlottrig bis zum exzeß: lieber tot als so ein zweites leben meint der spiegel reporter
Fritz R. zum englischen musikmedium Rosmary Brown
schließlich war Franz Liszt hereingetreten und Liszt hatte (laut Brown) einen mann
mitgebracht: jemand mit pickelhaube schnauzbart sporen jemand der immer mit der stimme grollt
jetzt läuft jault ein hundetier mit um die wette
wir sind oft sehr arm gewesen sagt Rosmary Brown
Liszt früher alt im schwarzen priesterrock jetzt mit krawatte sehr hübsch sehr witzig
geduldig
er kommt sehr gern vor allem seitdem ich ein farbgerät habe
in der blüte des lebens konzerte rehlein ein hausfrauenparadies
man muß ihn lieben auch wenn er peinigt: dis moll 3/4 für die rechte 3/2 für die
linke betitelt grübelei
also kryptomnesie zwei vermummte tiere die mit dem hund des mediums Brown
um die wette laufen:
lieber tot als so ein zweites leben

(di.7.7.1970)

Dienstag, 18. Oktober 2011

oo77h - SIEBEN-TAGE-GEDICHT 8

mit stäben gepölzt eine art asphalt
wovon reden wenn plötzlich der tod lauert
parteiegoismen schwächen nacktest
die zukunft steht geht auf sehr schwachen füßen
die katzen torkeln herum haaren kotzen
die erde aus dem keller häuft sich vorm haus
wovon reden wenn der tod lauert
in den marillenflaschen aus den jahren 64 bis 68
schwimmen weiße weiche uteri

(sa.11.7.1970)

Sonntag, 16. Oktober 2011

0077g -SIEBEN-TAGE-GEDICHT 7

kein allzu bedachtes leben manches nur so nebenbei sagst du
beruhigung kommt auf ohne gefördert zu sein die haut ist wieder empfindlich
der speichel nicht abstoßend der fremde geruch anschmiegsam
übers geld wird geschwiegen die lackspuren auf den wimpern lidern in den
nasenlöchern haben sich von selbst entfernt
das bad hat das völlegefühl nicht verstärkt die rückenschmerzen sind weggestreichelt
an kinder zu denken ist weder schrecklich noch schön ihr künftiges dasein eine
unwillkürliche tatsache

(do.9.7.1970)

Donnerstag, 13. Oktober 2011

0077f - SIEBEN-TAGE-GEDICHT 6

wenn du plötzlich siehst was auf deiner gabel steckt was in deinem löffel
schwimmt
du allmächtiger soor du
lachen im treppenhaus ein apfel vom greißler nebenan neben anderen äpfeln
im braunen sack
bei einem mann äußert sich das natürlich nicht
und jedesmal eine ohrfeige wenn du schreist bzw schreibst
warum ist denn schon wieder hier kein ordentliches papier hier
schweißstinki
so ein soor im mund ist nicht wirklich lustig (lachen)
und endlich diese grausige ölige salbe

(mi.8.7.1970)

Montag, 10. Oktober 2011

0077e - SIEBEN-TAGE-GEDICHT 5

schöne donau schöne alte donau schön mit schrebergärten schutt und abfallhalden
erfahrungen mit eingeschnürter kehle mit dem krampen zum zuschlagen in jeder
hand erfahrungen mit der feuchten erde in kellern
angst vorm grundwasser gräßliche weiße mauerblüten gräßlich unter einem verfaulenden
kirschen/marillenberg (rosenhügel?) auch nur auf minuten begraben zu sein
durchs gräßliche geschrei von einem ufer zum andern schwimmen durch den dreck der
schwäne ich mit meinem schwanenhals wie du sagst er hat etwas von einem schwan (unverständlich) an sich
an sich unverständlich vergleiche mit tieren vergleiche überhaupt
nichts ist vergleichbar eine maulbeere bleibt eine maulbeere (sagt Tschechow?)
also schwimmend schwimmend neben dem boot wind der das boot treibt wasser das
den körper trägt das wasser in der bodenmulde selbst schwimmend
honiggelber urin (jetzt verwässert): eine wirklich absonderliche verbrüderung mit
maurern babys schwangeren programmierern prostituierten usw mit verkörperungen (wovon noch?)
ich umarme jeden satz wenn er von wasser (leicht honiggelb) trieft

(so.5.7.1970)

Samstag, 8. Oktober 2011

O-13 ROSEN-SCHÄDEL-ZEICHNUNG

an irgendeinem Tag mit Migräne
unter der mittagssexbesessenen Decke.
Augenflimmern, Erbrechen. Rosen rankten sich
über Gartentore, ein Lusthaus,

über die gesamte Bibliothek des Wissens.
Dornen steckten in Zehen, Waden und Fingern.
Die Blätter pflückte ich, um nachher den Strauß
in Krepp-Papier dick einzuwickeln.

Irgendwo stand der Schädel, Gipsimitation,
bemaltes Trinkgefäß, zugleich Turngerät
für eine Unzahl von Weibsbildern,
die aus allen Öffnungen quollen, wurmartig.

Der Schmutzrand an der Wanne – unauffällig
willkommener Hintergrund. Rot der Schädel,
von innen beleuchtet, und schwarz
die unverdrossenen Jungfrauen.

Unaufhörliches Lächeln, sorglose Sohlen,
saubere Handinnenflächen: sie apportierten
die Rosen zwischen den Zähnen,
als wär das ihr einziger Überlebenssinn

(Sonntag, 2.1.2000, 22.20 Uhr)

(Erschienen in: Obachter, Edition Korrespondenzen, 2007)

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„...Dies ist der Versuch eines komprimierten Familienromans, zugleich ein Reisebericht, der an einen Ort führt, wo die Kriegsschäden an den Menschen und deren Behausungen noch unverhüllt sichtbar sind. Lena und Stefan, von den gegensätzlichen Seiten der Geschichte kommend, unternehmen, sich zwischen Überlebenden und deren Nachkommen bewegend, einen Versöhnungsversuch...“ (Klappentext)

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