Samstag, 26. März 2011

0040 -VERDACHT

verdacht schöpfend aber auch schlamm der schwimmhäute bildet zwischen
den fingern kurzfristig
schwimmen: ein lehrgang an der stange
zweifellos liegt etwas in der luft

die dinge im wasser unterliegen zweifellos schnellsten verzerrungen
asphaltwasser
obwohl im auto: das gefühl Jesus geht über den see
zweifellos das gefühl jetzt versinkst du

als ob ich der jüngste rotzigste atlant
als ob die gesamte luftmasse eine sehr nasse sehr schwere sehr gefährliche zusammenballung
im nacken
und k kann nichts sehen & m müßte lachen hätte er noch ein fünkchen leben
zum lachen in sich
so riesige exemplare, daß sich jeder fischer was drauf hätte einbilden können,
schwammen, eine unmenge, dichtaneinandergedrängt, bäuchlings, im seitenarm, nachdem das eis aufgetaut war, & stanken zum himmel
es war ein heidenspaß, sagte der instrukteur, sie alle im tümpel zu wissen, durch rohre
atmend, & dann unsere handgranaten, & dann ihr lustiges hochhüpfen & winken: wir schieden als freunde
zweifellos dringt prosa ins u boot

im dartmoor die flucht der 7 mörder
die 7 zwerge als sie der zwergin noch zu schaffen machten
als 1789 jemand an die riesen zwerge des jahres 1969 dachte

als ich noch unschuldig war kein wasser in der falschen kehle
als opfer wie mörder noch ball spielten pißten schliefen ohne von einander zu wissen
als als noch anders hieß
im schlamm oder moor mit oder ohne verdacht: welch ein trost das wort fest
oder brett oder es kommt dir einer zuhilfe (aber der muß erst geboren werden)

(sa.26.4.1969)

(Blick zum Nachbarn: Freaks Nr. 9.)

Freitag, 25. März 2011

0039 - IRRWAHRHEIT

eine fundamentale irrwahrheit: deutsche träume englische französische usw.
flugzeuge steigen auf im wasser im kranz träumerischer blasen
die letzten bilder ertrinkender gesammelt paginiert
ich bin ein fundamentaler silben/wort/satzmacher
ich sehe aber ich mache auch silben wörter sätze (sau!)

die wasserläufer bewegen sich wie auf erde
die seiltänzer fädeln ihre schritte zu einer fußkette auf
die schwingungen der glocke des allernächsten kirchturms können ihnen
daher nichts anhaben
er biegt traversen im traum
solche gewaltmenschen solche irrtümer die sich ganz ihrer wahrheit hingeben

aufzeigen heißt wenn ich will befehle ich das der arm/hand/fingermuskulatur
du sollst nicht töten
du sollst immer & ewig den appetit auf deinen augapfel unterdrücken
du hast das wort dafür: sesam
selbst sollen wenn mögen selbst wenn können wenn selbst wollen selbst
wenn dürfen müsselbsten

die letzten absturzmeldungen treffen ein
a ist erschreckt b zeigt sich unverzerrt fühlt aber eine gewaltige leere c kann
sich nicht länger aufrecht halten d stürzt zum fenster & übergibt sich
westeuropa südeuropa ost- & nordeuropa das mittelmeer
eine riesige plexiglasscheibe & darunter alles verbalisiert verbernsteint
alle länder schmuck des bewußtseins
die grenzen schnalzen lassen wie hosenträger: verstörte patrioten

die guten wörter
die 26 gebote der wörter
die wortlandschaften die wortmenschen die worttaten die worttode
die mineralisation: eine fundamentale irrwahrheit

(mi.25.4.1969)

(Blick zum Nachbarn: Freaks 23.)

Donnerstag, 24. März 2011

F-05 - Active Poesie

Als der tote Buchebner endlich aufwacht,
vom Lärm im österreichischen Lachkabinett,
aufsteht aus seinem soliden Alpensarg,
raustritt aus seiner Zellulose-Zeit
mit fanatischen Augen, ohne Morphium,
die mörderische Qual des Jahrhunderts im Gesicht,
als er die gepolsterte Tür hier eintritt,
da hört jedes Papierrascheln auf,
die outrierenden Schauspieler fallen textlos um,
der Schatten am Kopf des Geigers stockt:
eine krähende Feuersirene,
Buchebner, mit der noch immer nicht entschärften
Sprengladung im Hirn, fegt seine Feier hinaus
bei den geschlossenen Fenstern,
mit einem Griff in die Bauchhöhle.
Raus fallen die Arbeiter von Schoeller Bleckmann,
die Wickler von Semperit, Friedens-
versehrte an Leib und Seele,
in ihre ungewollte Wiedergeburt.
Einer bläst sich auf, ballt die Faust,
und es regnet eine Unmenge Dinge,
Kühlschränke Reifen Messer Autos:
er signiert sie mit seinem Namen,
sie füllen den Saal,
die Redner gehn unter, schrein um Hilfe,
das Gelächter der Ausgeworfenen erstickt sie.
Lässig befördert der Dichter
den Rest ans Licht: Vorstandsmitglieder,
Direktoren, Experten.
Er lässt sie an ihren Haaren
baumeln. Das ist
active Poesie, schreit er.
Das ist meine Rache,
die lindert ein wenig den Schmerz.
Mit den Lohnstreifen erwürgt er sie alle: Das ist
die Botschaft der Hölle Fabrik,
das ist der Fortschritt.
Als Buchebner seine Kreaturen
in den Bauch wieder einschließt,
kippt er vornüber.
Mit ihm versinkt
seine totale Revolte.
Der tote Raum
hallt wieder,
das gefrorene Blut
taut auf, mühelos
finden die Schauspieler den Anschluss,
die Schatten rühren sich:
es ist, als wär
nichts gewesen.

(1980)

(Blick zum Nachbarn: Freaks 06.)

(Erschienen in: Friede den Männern, Residenz Verlag, 1982)

Mittwoch, 23. März 2011

0038 - VARIATIONEN MITHILFE EINES GEISTESKRANKEN

1

IST LANGSAM
BEGINNEND
SCHREIBEND
IN
SEINEN
ZEILEN
VERHARREND
BIS
ENDE
KOMMEND
DAS
IST
DER
DICHTER

2

IST erstens da & geht
LANGSAM zugrund ist zweitens erst
BEGINNEND wie immer wie immer
SCHREIBEND aufs geratewohl
IN das klinische weiß des papierzimmers
SEINEN atem seine rasselnden
ZEILEN ist drittens langsam da steht
VERHARREND im schwarzweißen licht
BIS eine blitzschrift
ENDE schreit & ist viertens doch erst
KOMMEND geburt
DAS ausweiten des beckens
IST fünftens doch erst kommend
DER ausschlag aufprall
DICHTER aussätziger trauben


3

IST & hat & steht & läuft & schießt
LANGSAM schwäche zusammensturz aus allen himmelsrichtungen
BEGINNEND langsam von oben herab herunter
SCHREIBEND durchschreitend die blattlose winterspur
IN die winzigen öffnungen hinein der zeitfläche noch zärtlich
SEINEN mund aufreißend g h c d noch zärtlich kleiner dichter
ZEILEN mitreißend voller blut das atmet augenleid
VERHARREND verharrend tiefer sinn
BIS die kammern mit embolien verstopft sind
ENDE des endlosen schwalls von arbeit steinzeitkönig
KOMMEND das kommen ankommend die verdammten
DAS sein das haben das stehn das laufen das schießen
IST Alexander müd toll lebensgeprellt voller unheil verlust
DER ausfall von sprache den niemand hört oder sieht oder nur in träumen
DICHTER mitreißender regen auf die hoch rauchenden wälder

(April 1969)

(Der Vers in Großbuchstaben stammt von Ernst Herbeck alias Alexander.)

(Blick zum Nachbarn: head fund 04.)

Dienstag, 22. März 2011

037 - MINIATUR-ALL

ein miniaturall dorthin immer wieder abschweifend
meditieren sie nur ruhig drauf los
die sonnenstrahlenwärme das getrappel der schritte
inmitten einer solchen buntheit 3 schwarze punkte auf einer gelben armbinde
beim auftreffen der strahlen bilden sich auf gewissen häuten sogenannte sommersprossen
je kürzer die röcke desto reizloser
je desto die babystragenden väter die vätertragenden babys

des tores spitzen sind abwechselnd gerad spitz & geschlängelt spitz zu hoch für
stichwunden an waden ärschen
monoton die ansätze zum ballett sind monoton
im gegenlicht auf den unbelaubten bäumen ein eigentümlicher glanz
vom herzen wegtreiben atomisieren was sich der schwerkraft hingibt
der registrator schaltet sich zeitweilig ganz von selbst ab
die gesteuerte bewegung schlägt ganz von selbst zeitweilig um
der witz bei der sache sind die riesigen brillen
jetzt hab ich den witz vorweggenommen bedauerte fräulein g

es war einmal begann von neuem
gestriges prescht nach vorn widerhall eines knalls
Fucks glaubt durch statistische untersuchungen an literarischen texten noch
unbekannte gesetzmäßigkeiten zu entdecken
das stöhnen & keuchen dauerte die ganze nacht
ich aber sage euch ich hatte angst den vorhang zu heben
das glockengeläut zittert durch die verknoteten finger des auf demselben brett
sitzenden alten
das wirkliche käuzchen ist jetzt zu hören in jener nacht wars nur ein schattenkäuzchen
assoziationen haben nur im finstern zwanghaften charakter

das freie auf & abschweben der kinder in zeitlupe
die löckchen heben & senken sich unerhört langsam
plötzlich durchdringst du die schwere materie plötzlich durchdringst du
den übergeworfenen vorhang der aber NICHTS verdeckt
NICHTS baumelt oder steckt in den frauen
jetzt aber gewinnt es an unruhe
NICHTS hat jetzt unzählige beine sorgfältig gestutzte alleen
kennen sie den schon
aber das gesetzmäßige
für sterne existiere nur sprunghafte bewegung
alles nur zufällige abschweifungen ins allernächste miniaturall

(mo.7.4.1969) (Blick zum Nachbarn: Head fund 01)

Montag, 21. März 2011

0037 - LICHT

nein nicht die rose bewegt sich sondern das licht
baumelnd kratzend grünes blattstengellicht
grüner lichthimmel der aufreißt barockes dreieck apotheose der kotbraunen felder
anthropomorph apostase a posteriori: hier herrscht jetzt die kraft des stärkeren
der stärkere gibt nicht nach er stellt ihnen ein bein er zieht ihnen das fell über die ohren
er spuckt ihnen in ihren schlund
der stärkere bewegt auch das licht es sind laserstrahlen

was wie ein gießkännchen ausschaut hat die potenz einer riesigen kanne
harmloser regen auf harmlose felder zu harmloser zeit
wärs samenwasser würd die welt an einem solch gleichgültigen morgen explodieren
schössen nicht die lichtblätter der rose auseinander
schössen nicht die lichtstengel in die breite höhe
schwölle nicht die lichtstraße zu unüberwindlichen lichtbuckeln die hügel
börsten die dörfer städte wüchsen ineinander & in den lichthimmel

du & ich wir sind zu schwach
wir sind zu schwach & durchlöchert luftlöcher a posteriori
wir haben das licht gefangen durch nichts als unsere nichtigkeit
die berstenden hügel verbergen aber plötzlich das licht
unsere bewegungen werden unkontrolliert das aufreißen reißt uns mit
das panorama saugt uns ein all unser licht: panoptikum paradox panphobie

eine sammlung das sehen betreffend meist wachsfiguren
das wachs in den ohren nützt nichts es schmerzt
das kratzen & reißen zehntausendmal verstärkt trotz des wachsens
sie wollen sich wirklich vor allen äußeren vorgängen verstecken
das blecherne baumelnde eigensinnige licht ist auch innen
weder du noch ich sind befreit a posteriori
weder dein samen noch meiner

weder dein name noch meiner unterbricht übertrifft die korpuskeln
unwahrscheinlich viele getroffene gefällte
mir ist als wär die erde fleisch als brodelte alles
mir ist als wär der kotbraune moder eine riesige gärung zusammengärung
denn auch der lichthimmel gärt
doch weder dein sehen noch meines ist dem allen gewachsen
was wächst ist die angst von allen seiten heran sichtbar braun oder grün

(do.17.4.1969)

(Blick zum Nachbarn: head fund 02.)

Sonntag, 20. März 2011

D-01 FUTO OMOWAZU WATASHI

ich ist hier, lesend, durch reinen
Zufall, unwillkürlich.
Vergitterte Fenster, Schottendecke.

Ich im Doppelbett, allein.
Tinnitus, Morgenlicht, Ankunft
im Tag wie im Schmerz,

der sich krachend löst.
Ich, noch beherzt,
von der Fahrt von da

nach dort, der Ankunft,
von der Zufallswahrnehmung
einiger japanischer Wörter.

Futo. Omowazu. Watashi.
Gerade hinsehend. Ohne es zu wollen. Ich.
Ich ist jetzt hier. Ich ist,

mich beherrschend, ein Pfiff, sehr leise,
ein zweiter, dritter, von oberhalb des Hauses.
Ich ist die weiß-rote Windhose,

an der sich der unbekannte Nachbar,
Vater von vier Kindern
immer orientiert hat,

bevor er über der Autobahn abstürzte.
Ich ist am Leben, er tot.
Ich spricht nicht französisch,

wie du: noch im Schlaf,
hier am See, oder in Zürich,
Hamburg. Was mich betrifft,

bist du absolut begehrenswürdig,
wie mir die Japanerin aus dem Buch zuflüstert.
Keine Frau im Ich, kein Ich

in den Frauen: der Schreiberin,
Hausbesitzerin, Schlaftüchtigen -
kein Schmarotzer in ihnen. Das heißt:

ich ist das andere, das Bett-
Fenster-Baum-gleiche Ich -
das sich nicht geschlechtlich fixieren läßt.

Ich ist, noch nicht wach, noch unsichtbar,
wie du, die sich jetzt in mir unwillkürlich
wahrnehmen wird - dreifaltig

(1999)

(Erschienen in: Friede den Männern, Residenz Verlag, 1982)

(Blick zum Nachbarn: Head fund 09.)

Samstag, 19. März 2011

0036 - ENTKLEIDUNG

während du dich entkleidest sprichst du ernsthaft über die sprache
während du sprichst ziehst du dir den pullover über den kopf das aufgeknüpfte hemd
von den brust schlüpfst aus dem leibchen läßt die hose fallen
während du sprichst steigst du aus den schuhen darunter
während du schließlich nackt bist sprichst du noch immer ernsthaft über die sprache
während unter der tuchent die blicke sprachlos auf dich warten
während die akte des staunens sprachlos unter den lidern
während die bewegungen sprachlos unterm bett auf dem plafond warten & warten

es geht nur dich an
das alles hier ist ein akt der zuspitzung
die unveränderte lage auf der einen seite geht über in die veränderte lage
auf der andern
die übergänge sind unmerklich & voller übermut

während du mit einem großen schritt hinaufsteigst ertönt ein krachen unter dir
während die luftschlaufen zusammenbrechen fällt das glas aus dem fensterrahmen &
hereinkommt ein sprachloser blitz
du siehst: wir sehen einander zum ersten mal
zum ersten mal geht etwas aus den fugen das nicht zu sehen ist
die stücke bilden ein ganzes während das ganze in stücke geht
zum ersten mal stolpere ich über mein eigenes schweigen
während ich schweige stößt in mein bewußtsein ein völlig nackter körper vor
während er anscheinend fröstelt leide ich anscheinend darunter

gespalten wie nur ein mensch sein kann schwebe ich noch immer im schritt
vielleicht hab ich das krachen verwechselt wie ich das licht verwechselt hab
während ich jetzt auf dich blicke ohne ein wort zu sagen geschieht dein näherrücken
sicherlich in einem anderen raum
während der raum wechselt verschwindet die zeit

es geht dich etwas an nur dich
deine bewegungen sind von sehr großer langsamkeit
ich liege neben dir doch in einer anderen zeit
glassplitter bewegen sich in meinen wunden auf & ab
ich schreie & mein schrei ergießt sich
während seines ergießens steigt in dir zufriedenheit auf du freust dich
über die kühnheit meines schritts

jetzt hab ich die kleider vergessen
jetzt hab ich die sprache vergessen
jetzt hab ich alle zusammenhänge vergessen während dein völlig nackter körper
im schrei erscheint unartikuliert

ich gebe dir irgendwelche zeichen aber anscheinend sind die wände für dich
ganz undurchlässig
ich wär am liebsten ein reißender blutschwall während du immer mehr
in deiner brust versinkst
schließlich hört das krachen auf während der blitz zu reden beginnt

jetzt glaub ich nicht mehr an die notwendigkeit einer erklärung
ich glaub auch nicht mehr an einen anblick der mich beschämt
während schamröte mein gesicht überzieht falle ich aus meinem warten
aus meiner rolle
ich spreche die hose an plötzlich gehört sie mir
die wand ist glatt der tisch ist rund die tür unweigerlich zu
plötzlich gehört alles nur mir allein & bedeckt mich wie eh & je:
ich spreche wieder

(fr.11.4.1969)

Freitag, 18. März 2011

0035 - SCHIESSSCHEIBE

dort die schießscheibe
bitte schießen sie sich ein
ist nun die scheibe ein ding
ist die scheibe ein bild
ist die scheibe das bild eines bildes

das füllige aufjauchzen ist dir gewiß
der schweißabdruck auf einer schwarzen platte
pappmenschen fallen um wie richtige menschen
die vorstellung füllt den raum zwischen den dimensionen nicht auf

soll er sich doch selbst hinstellen dein scheißkörper
hast du die maske schon übergeworfen die drahtmaske
trotz der maske brach der imker unter der last seines schwarms zusammen

hast du dich in deine rolle schon eingepaßt rollst du nun fleißig weiter
unterm brautkranz der schwarze mädchenkopf rollte den hang hinab
weiße hüpfende luftschlaufen
ich sah wie schnell sich die wellen glätteten nachher

hier bist du nackter als du denkst
du schlenkerst so häßlich im raumanzug
man hört wieder klagen über den verschluß des fäkalienbehälters
es ist ein zickzackflug zickzack in einen schwarzglühenden himmel

eine ganze erdumdrehung hat noch niemand mit freiem aug gesehn
versuchen sie doch einmal sich von oben zu betrachten
versuchen sie doch ihrem schatten ein bein zu stellen

das ding dort ist ewig jedenfalls so ewig daß du nicht bemerkst
wie du daran stirbst
scheißscheibe
du stirbst unmerklich am betrachten des dings bildes dingbildes dahin

das phosphorizieren der innendinge
nachts die positionslichter und etwas wie murmeln
du klappst die arme auseinander man könnte dich so leicht treffen
amerikanische muskelgedanken an pappe verschwendet

welches lebensgefühl hast du während der rem-phasen
etwas wie murmeln hält dich davon ab abzudrücken
da springt deine angst aus den kornfeldern auf
eine massive hand WEGLAUFEN WEGLAUFEN

läufst du aber weg bist du auch nur puppe
der flaum am kinn der puppe entpuppte sie
vielleicht hast du keine besondere beziehung zu sägemehl
weil bei euch zuhaus mit koks geheizt wurde

aber selbst wenn dein vater mit holz zu tun hatte und du es sehr oft gefühlt hast
zwischen den fingern:
dieses kühle feuchte rieseln
dieses warme trockene rieseln
die einzige form der wahrheit: feuer

(mo.7.4.1969)

Donnerstag, 17. März 2011

F-04 BODY BUILDING

Mein Körper ist
kein Körper der andern,
keine elfenbeinerne Kraft-
maschine des Glücks,
kein Fackelträger
universeller Illusionen.
Singulär wie ein Haufen
zerschnittener Reifen,
weiß er nichts
über seine Allgemeingültigkeit.
Er hat kein Double,
will sich nicht wieder-
erkennen, nirgends.
Er träumt nicht
von einer Geld-Börse,
auch nicht von einem Hand-Schuh-Fach,
er träumt überhaupt nicht,
am wenigstens von anderen Wagen.
Lächelnd verzweifelt er schnell
an dem, was überraschend
aufsteigt aus der Vierten
Dimension. Geschwollen zuckend
bewegt er sich durch die Gegenwart:
seine frühere Erfahrung
schirmt ihn nur notdürftig ab.
Muskel-Bildung ist Neben-
sache: leicht verkommt er
zu raschelnder Streichelhaut
über zweideutiger Geschlechtlichkeit.
Seine absichtliche Meisterschaft
liegt in der Verrohung der Augen,
im Zupappen der Ohren,
im Ausufern der Zunge,
im Anecken und Umwerfen,
im ständig wandernden
Stachel im Fleisch.
Unwiderruflich
ist mein Körper eine Fehl-
entwicklung, eine glanzlose
Einzelerscheinung,
eine Münze, die nichts wert ist,
ein Schlüssel, der nicht paßt,
ein Faß ohne Boden; zugleich
eine bescheidene Freude
zur Einschlaf- und Aufwachzeit.

(1980)

(Erschienen in: Friede den Männern, Residenz Verlag, 1982)

Mittwoch, 16. März 2011

0034 - JETZT

(in memoriam franz vales, † 15.3.1969)


jetzt ist der staub der sonne ein film
jetzt ist die sonne selbst unsichtbar
jetzt regnets schneits schneidets scheidet sich alles aus

jetzt hat der hahn seine arbeit getan
jetzt verliert sich der schlaf hinter den bäumen
jetzt fällt aus den träumen die arbeit heraus

jetzt brennt der motor der straße unentwegt
jetzt ist die schnelle bewegung göttlich eine abgöttisch geliebte
jetzt brennt die natur im löschen

jetzt regieren verwischte bäume das bewußtsein
jetzt bäumt sich unterbewußtes auf lockert sich lockt
jetzt entlassen die dörfer die noch lebenden körper

jetzt wissen sich alle wohl in ihren leben
jetzt knöpft sich der eine die hose zu
jetzt lacht der eine der andere betätigt bedenkenlos glied um glied

jetzt fällt kein stern vom himmel
jetzt häufen sich die zufälle an einem punkt über einem leben
jetzt gleitet die straße noch einmal nach rechts

jetzt überfällt ein übermaß an zufällen rechts einen warmen fliegenden körper
jetzt konzentrieren sich alle vorhandenen gesten haltungen auf einen punkt knopf blitz
jetzt

jetzt ist der augenblick des materials gekommen
jetzt hat der augenblick den charakter eines modells des zerfalls angenommen
jetzt ist der heraus der niedergeschleuderte körper verbrauchbar

jetzt kühlt der regen nicht mehr er stimmt zu
jetzt steigt ein unangenehmer geruch auf
jetzt ist der tod ein geruch der festsitzt in allen haaren stoffen

(sa.15.3.1969)

Dienstag, 15. März 2011

0033 - STOLPERN

wir stolpern gleichzeitig
gleichzeitig fallen wir in den graben
gleichzeitig liegen wir im aufrauschen aufstauben
die geräusche dringen blitzartig gleichzeitig in unsere ohren
unsere ohren sind erfüllt überfüllt

wir bleiben liegen
wir unterlassen gleichzeitig jede bewegung
der aufprall war so stark als wären wir geworfen worden
ein ast ließ uns stolpern & warf uns gleichzeitig vornüber ins laub
es ist ein albdrücken

wir verstehen uns gleichzeitig als gelähmte
wir haben gleichzeitig einen bart weißes haar
das männliche weibliche ist völlig nebensächlich geworden
das aufrascheln ist so hart gewesen daß wir jetzt beide gleichzeitig beinahe erschrecken als es aufhört

jetzt sind die glieder vertauschbar
wir schließen die schon vorher entzündeten augen
man könnte den doppelten doppelschlag des herzens irrtümlich für einen halten
wir halten gleichzeitig den atem an
selbst ein mann mit einer flaumfeder hielte uns für tot

mein buckel schmerzt mich nicht mehr
meine schläfe ist unanständig dick
gewisse empfindungen sind unbestechlich hart
das ferne auge kann einen irritieren
es läßt etwas fallen messer & gabel ich würd sie gern aufheben könnt ichs
könnt ich mich erheben würd ich fliegen

die bäume sind jetzt gleichzeitig kahl
in solch einer landschaft kann man die freunde schon von weitem erkennen
wozu dient das messer wozu die gabel sind es gegenstände zum lesen
sie sind spitz & scharf

ich sehe den schmerz kommen
ich bin noch im fallen begriffen
ich fürchte der aufprall könnte mich töten
hoffentlich kommt mir der boden entgegen
ich weiß ich bin nicht allein allein

(märz 1969)

Montag, 14. März 2011

W-01 NEGATIVE UTOPIE

Die Katastrophe im Kopf
ist die bequeme Utopie,
mit der alle liebäugeln müssen:

das zusammenstürzende Haus,
das die andern Häuser mitreißt;
das sich überschlagende Auto,

Ursache einer Massenkarambolage im Nebel;
die allgemeine allseitige Liebe,
die allen Arbeitern überall in die Glieder fährt,

blitzschneller Krebs
im Nervenzentrum des Systems.
Dann heult der Urwald,

und die Sonne brennt Tag und Nacht,
und auf die eingeebneten Berge
stürzen die Himmel herab,

und Feuer platzt aus dem Erdinnern:
alles ist gleichzeitig
neu und zuende.

Trotzdem die Babys lächeln
mit vollen Mägen,
die Frauen gehn trächtig mit neuen Kindern,

die Männer träumen von einer Festung,
umgeben von Alarmanlagen, Sirenen,
scharfen Hunden, Polizei,

von einem schußsicheren Vorfeld
und einem in Warteposition
die Zukunft einkreisenden Erlöser.


(1980) (korr.12.3.2011)

Sonntag, 13. März 2011

0032 - ICH WEISS

zwei drei dinge die weiß
ich ich weiß
wie die fliege fliegt wie
sie abstürzt plötzlich ich weiß
wie man die suppe kocht wieviel salz
weiß rezepte biobaupläne kann
sie aufschreiben zeichnen was
aber macht
die suppe ohne
die fliege was
summen ohne ertrinken

(16.11.1968)

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DZL-07 TISCHLERPLATTE
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DZL-10 BRAUTMASCHINE
ein Mann braucht nur eine Wand und eine Braut. Er braucht...
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DZL-11 SCHWIMMERIN
wenn sich das Tor geöffnet hat, fährt allen in ihren...
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DZL-12 FRESSEN UND WUCHERN
Gedichte zu fressen ist nicht meine Sache. Ich lese...
e.a.richter - 2015-05-07 13:49
DZL-13 KONTROLLE VERLIEREN
Kontrolle verlieren, im Nebenraum, wo alles aufgetürmt...
e.a.richter - 2015-05-07 13:49
DZL-14 MUNDSCHUTZ FÜR...
es begann mit strahlenden Augen, auf einer Schnitzerei...
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DZL-15 JUNGE FRAUEN...
dem kleinen Mann macht die Situation einen Gefallen: zwei...
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Zuletzt aktualisiert: 2016-01-06 11:08

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