Samstag, 12. März 2011

0031 - DIE FOTOGRAFIEN

im herabgleiten von fotografien
F der Stinkende Bettler die Nase
ein undeutliches flugobjekt brennesselbedeckt
die andeutung eines arms ein schauer

F hat nun seinen ort verlassen
der Stinkende klopft an die kirchentür knochig
die Nase: Kassner / Gogol (Oblomov?)
undeutlich: fleischfliegen fliegend
es kommt brennend herab durch den lichtschacht
es zerschellt an diesem luftwall
der arm umarmungsbereit armnest
oder zerfressen fast ameisenhügel F
ist hinübergegangen über die Donau grenze
ein schauer es war ein warmer
schauer schaudernd nahm er den spröden ballon
berührte die spröde haut des ballons
und dachte dabei an GELD

im herabgleiten der fotografien
auf der ersten stufe des abends betroffen
zerschnitten von ursprünglichen filmen
ihr knattern auflodern als ob die sonne
und jetzt jetzt in der stinkenden wolke
herzlos schwebend im gestank
verbrannter haut das heißt zeit

(16.9.1968)

Freitag, 11. März 2011

F-03 FALSCH ANGEFANGEN

Falsch angefangen, schon wieder,
mit Schlaflosigkeit, Fliegenkräuseln,
Abwaschwasser, das im Finstern
steigt. Schemenhafte
Vorstellungen: draußen
der Vollmond, das Kind
nebenan, hinter Gittern, erst
das Jahr 2001 als Jahr
des Gleichgewichts, wo alles Überflüssige
verdunstet, wo einjährig
die überschüssigen Nachkommen
die einzige Überlebensspeise der Hungernden sind.
Zynische, allmächtige Liebe.
Die Mäuse auf dem Dachboden schlafen,
der Kopf ist eine Box, in der ich spazierengeh
mit einem weißen Stock,
der Gute und Böse erschlägt,
bis die Zeit mich ausgespien hat
an einem völlig andern Ort,
bei den schönen Antipoden.

(1980)

(Erschienen in: Friede den Männern, Residenz Verlag, 1982)

Donnerstag, 10. März 2011

0030 -DIE KÖRPER

die körper klammern sich fest denn sie frieren
die pole strecken die zungen aus
auf roter zunge liegt heißes eis

aus heißem eis steigt roter dampf
die körper schrein auf doch die schreie ersticken
die haut erstickt in der umklammerung

der menschensohn umspannt den äquator
in der vorstellung ist der äquator ein rostiger ring
in der vorstellung ist das gezackte meer ein bottich mit undichten dauben
in der vorstellung tropft es papageienschreie vom himmel

der himmel ist rot die papageien sind rot
die körper sind um stangen gewickelt
es sind formlose körper formlos geworden in der vorstellung

wenn die vorstellung aus ist klappen die zungen zusammen
die kappen stülpen sich auf sie sind eisbehangen
hinter den riesigen brillen sieht man kein aug

(19.11.1968)

Mittwoch, 9. März 2011

0029 - ZWEI NARREN

zwei narren im greisen
zimmer ein braver
bub & ein halb
narr laut
den rosenkranz betend
mitternachts
brüllend in versandete
schnecken verkalkte
adern verknorpelte
gewächse tausendmal
brüllend maria
maria rosmarin
streuende & platzende
kugeln die schreiwolken
platzen der Krummbauer
Karl er hört nicht auf
(und die mutter büßt
und der vater büßt
und die schwester büßt
alle büßen sie dürfen sterben
ohne zu beichten)
der Krummbauer Karl
nur bei kloster
schwestern & pfarrern
er hört nicht auf
ein fuß weg im wahn
daneben der brave
bub geschoppt in 3 wochen
12 kilo mehr in 3 wochen
12 kilo närrisches greisengewicht

(17.11.1968)

Dienstag, 8. März 2011

F-02 FRIEDE DEN MÄNNERN

Eigentlich wollten wir ins Kino gehn,
aber plötzlich wars zu spät, so entstand
eine Pause, ihr Frauen
zogt euch zurück zu einem Frauengespräch,
ich Mann blieb allein mit mir,
auf einem Ikea-Stuhl,
und schob etwas Nützliches ein.
Ihr kamt zurück, unter euch
meine Freundin, der Tee
war herb und heiß, das Cassettengerät
stand auf dem Tisch, die Frage: Was
ist die Liebe der Männer?
verbrannte mir die Zunge,
ich trank den Tee.
Trotzdem beschrieb ich euch meine Scham,
meine phantastische Pubertät:
die Blickwechsel im Spiegel,
die Friedhof- und Kirchturm-Küsse,
Rosen und Schädel,
Schwänze und Engel,
meine ausschweifenden Erwartungen,
meine überraschenden Gefühlsumschwünge,
mein offenkundiges Unglück.
Ich beschrieb euch meine Mutter,
meinen Vater, meine ersten Geliebten,
doch ihr maßt mich mit Frauenaugen,
da kam ich ins Stottern,
und ein anderer trat hinzu, lächelte
mitfühlend, zuckte die Schultern,
trank meinen Tee und verschwand.
Wir gingen dann doch ins Kino, viel später,
ich Mann und ihr Frauen,
unter euch meine Freundin,
und ich sah euch neben mir,
im Dunkeln umschlungene Paare,
unter euch meine Freundin,
und ich saß neben euch,
ohne Körperverbindung, mutterlos-
seelenvoll, stets an der Kippe
zum Mann, mitten im Männerfilm
über Frauen: jeder Seitenblick
war Krieg, jeder Atemzug
vertrieb das Paradies.
Ich flüchtete aufs Klo,
stellte mir Friedliches vor:
ohne Ansehn des Geschlechts
massieren wir einander
mit genauer Zärtlichkeit,
ohne Ansehn des Geschlechts
erzählen wir einander voneinander
mit befreiender Freundlichkeit,
ohne Ansehn des Geschlechts
bereiten wir einander
eine gute Mahlzeit, essend
machen wir Pläne und gehn dann,
ohne Ansehn des Geschlechts,
an die Arbeit.
Aber als ich euch Frauen
auf der Straße wiedersah,
eingehängt, eine breite Front, nach vorn
marschierend, da griff ich mir
meine Freundin, würgte und schlug sie,
bis ihr Frauen über mich herfielt,
und mein Blut kam über euch,
färbte Gesichter und Hände rot.

(1981)

(Eingestellt zum Weltfrauentag 2011)

(Erschienen in: Friede den Männern, Residenz Verlag, 1982)

Montag, 7. März 2011

0028 - L IN ENGLAND

1

hier lern ich deutsch schreiben schreibt L
unter den jublern für Wilkes
in Kew beim könig
man sagte illegitim
(sohn Georgs des zweiten)

2

hier lern ich deutsch schreiben
und Birmingham dann menschenleer
und knöpfe uhrketten stahlschnallen degengefäße zierate
und dampfmaschinen & pumpen:
überall treibendes wasser
er sieht den menschen vor sich
der ruckt & pfeift & wackelt & rattert
etwas schlotiges öliges knirschen
er sieht treibriemen an sich zahnräder und
10.000 fuchtelnde hände

3

anders in Bath
wo der nackte natur mensch
unterm schwimmzelt verborgen durchbricht
wo glieder brüste schreie
undeutlich deutlich den stoff bewegen durchbrechen
bewegungen an einem seil leit
seil die stufen hinab & hinauf

4

L denkt auf der stufe an fesselung gefesselt
er der kegelwirt an den hauptmasten
und das meer expressivst er lernt
nicht das fürchten strohhalm
an strohhalm gefesselt
der buckel schmerzt schwebt
im wahren donner
in unaufhaltsamer größter verwegenheit
durch riesige muschelschnitte
andächtige tränen vermischt
mit demütigendem blitzsalz


5

dezember dezember London
dezember Cheapside dezember Fleetstreet
spiegelglas flüchtet ein saal plafondlos
läden für silber für kupferstiche für bücher
für uhren glas & gemälde
für gold edelstein & stahlarbeiten
für frauenzimmerputz & unputz
ganze quadratruten mit purpurnem
gelbem grünspan grünem & himmelblauem licht
mit blendenden kronleuchtern kitzelnden
aufsätzen lockende zucker bäcker
schneezucker süße kristalle
auf festons aus spanischen trauben
auf weißarmigen nymphen
von den spiegeln bewacht entblößt
mit seidenen hütchen & schlenderchen

6

dezember dezember
hier lern ich deutsch schreiben
und Cook hinter ihm
der schwarze händedruck Omais
die südsee chaise hinter chaise
wagen auf wagen woge auf woge
getös gelöstes geräusch von 10.000 zungen & füßen
ruckartig die spiegel durchbrochen ruck
artig die fortbewegung der spiegel
himmel die spiegel
erde zerkratzt zerkratzt schnee
gestöber alles verfinstert stop
thieves my eyes damn me

(oktober 1968)

Sonntag, 6. März 2011

0027 - ICHUHR

die schlechten gewohnheiten der geschlechter
zu sprechen sprechend zu zeugen vom unzeug-
baren der sprache des lebens gelebt nicht geliebt
doch gehaßt im haß des liebens

in der freude des ungehorsams
im gehorsam des ekels im ekelhaften
ziel das niemand jemals zeigt
am zeiger der selbstvergessenen ichuhr

(13.9.1968)

Samstag, 5. März 2011

O-04 (sk) - V KARSTE

pôjdem, povedal do telefónu, prosto von do Karstu
preč od schôdzovania básnikov, vysoko ponad Terst
v rozhovore o juhoslovanskej vojne, pôjdem, povedal
prosto preč, ako to urobil už veľa ráz predtým, von

(preč a vyjsť ponad Karst, lebo nad Karstom
je už noc a nejedná sa v žiadnom prípade
o útek), ale nepamätal som si, že by som niekedy v noci
odchádzal, von ponad Karst, iba špicatý

skalnatý vrch sa zrazu týčil predo mnou, na ostrove Krk, na ktorý
som raz vyliezol, spod nôh mi odskakovali kamene
v poludňajšej páľave, sám som lizol na tú horu
na ostrove Krk, a už som sa nevidel, ako som

sa zhora rozhliadal, ale teraz vidím, ako vyzývateľ
vyšiel za zatmenia Mesiaca, kráčal ďalej
bez okuliarov, ktoré nechal v dome, vysoko
ponad Terst, a ako rovno išiel ďalej, ako keby

poznal svoj cieľ, hoci ho nepoznal,
vedel iba, že kráča v ústrety sivobielemu súmraku
dôveroval sebe a svojmu impulzu, s trhlinami
nerátal, ani s tým, že mu je šťastena priaznivo naklonená, tam

dolu v skalnej pukline, kde by ho nikto nehľadal,
pričom mal to šťastie, že keď sa odtiaľ kotúľal celý život
sa mu premietol, tak na malej plošine, ktorá ho
zachránila pred pádom do väčšej hĺbky sa mu práve zjavil pred očami

okamih jeho narodenia, a jeho matka, o ktorej nikdy nerozprával,
sa vzniesla ako temný prelud a nadávala mu a vysmievala sa mu,
zároveň ho pooblizovala jazykom, mávala
skrvavenou plachtou a odsotila od neho otca, kopúc

doňho, naposledy visel zavesený na háku pri dverách,
a neskutočne tam trpel, obviňujúc sa z nedôstojnosti,
potláčania, a prosil ju, matku o odpustenie
za všetky prešľapy, ktoré sa už nebudú opakovať –

nikdy v živote, povedal do telefónu, nevidel rodičov tak
zreteľne, ak by sa mu neprihodil ten pád,
ktorý takmer dopadol beznádejne, pri tejto vychádzke
na nočný Karst, kde v tom okamihu dole

ležal celkom nehybne, zakliesnený medzi úlomkami skál,
neschopný formulovať slová, ale vďačný
za bleskové osvietenie, ktoré mu naznačilo, ktorý z básnikov
tam vo výškach nad Terstom, zdola vytuší, ako ho má odtiaľ dostať

(Preklad Mila Haugová)

(Veröffentlicht in der Zeitschrift „vlna“ („Welle“), Bratislava, 2010.)

Freitag, 4. März 2011

O-04 - IM KARST

er ging, sagte er, am Telefon einfach hinaus in den Karst,
weg von der Versammlung der Dichter, hoch über Triest
zum jugoslawischen Krieg im Gespräch, er ging, sagte er,
einfach weg, wie er es so oft vorher getan hatte, hinaus

(weg- und hinausgehen und über den Karst, weil es
schön ist, in der Nacht über den Karst, und keineswegs
Flucht), doch ich erinnerte mich nicht, jemals nachts weg-
gegangen zu sein, hinaus über den Karst, nur ein spitzer

Steinberg stand plötzlich vor mir, auf der Insel Krk, auf den ich
kletterte, während unter mir die Steine wegrutschten
in der Mittagshitze, ich ganz allein auf diesem Berg
auf der Insel Krk, und ich sah mich nicht mehr, wie ich

von oben hinabblickte, sehe aber jetzt, wie der Anrufer
hinausging in die Mondesfinsternis, weiterschritt
ohne Brille, die er im Haus zurückgelassen hatte, hoch
über Triest, und wie er geradewegs weiterging, als ob er

sein Ziel schon kennen würde, obwohl er es nicht kannte,
außer eben in die grauweiße Finsternis wegzugehen
und sich selbst, seinem Impuls vertrauend, ohne mit Spalten
zu rechnen, auch nicht mit dem Glück, das ihm hold war, dort

unten in irgendeinem Felsloch, wo ihn niemand vermutet hätte,
wobei er das Glück hatte, im Hinunterrollen das ganze Leben
abzuspulen, sodaß er auf dem kleinen Plateau, das ihn
vor dem weiteren Absturz rettete, bei seiner Geburt

angelangt war, wo seine Mutter, von der er sonst nie sprach,
sich als dunkle Gestalt abhob und ihn anspie und auslachte,
zugleich mit ihrer Zunge abschleckte, das blutige Leintuch
schwenkend, den Vater von ihm wegstieß, ihn mit Fußtritten

traktierend, zuletzt auf einen Haken neben der Tür hängte,
wo er erbärmlich litt, sich der Unwürdigkeit bezichtigte,
des Verdrängens, und sie, die Mutter, um Verzeihung bat
für all die Fehltritte, die nie wieder vorkommen würden -

nie im Leben, sagte er am Telefon, hätte er seine Eltern so
klar vor sich gesehen, wäre ihm nicht jener Fehltritt passiert,
der sich absichtslos ergab, aus diesem Wegwandern hinaus
in den nächtlichen Karst, wo er sich ganz unten im Moment

völlig unbeweglich eingeklemmt zwischen Felsbrocken
in der allergrößten Sprachnot vorfand, doch dankbar
für den Gedankenblitz, der ihm zeigte, wer von den Dichtern
hoch über Triest, ihn da unten erahnend, herausholen wird

(1995)

(Erschienen in: Obachter, Edition Korrespondenzen, 2007)

Donnerstag, 3. März 2011

0027 - DIE KÖPFE

1

die köpfe sind rot blau gelb grün schwarz
die köpfe streiten dann sind sie
oval es öffnen sich münder die münder
fast kopfgroße löcher & drinnen
sehr klein aber spitz
die zähne matt glänzend dazwischen
riesig gequollen fast
eine kugel die zunge die zunge
zum strecken sprechen oder
zum lecken reglose kugel
hinter speichelglas es sind köpfe
ohne zahl ohne namen
vom mittel alter gefärbt
nur die farben sprechen

2

wenn einer der köpfe aufgeht geht
der andere unter der unter
gehende geht
im himmelswasser auf so
sind die laute lautlos
überall

(14.11.1968)

Mittwoch, 2. März 2011

0026 - BESSER

1

besser: rüde entblößung haut zähne in die insektenaugen des publikums gebleckt (frage)
besser: den tag hervorkehren den blätter und abfallhaufen zu füßen der bäume hegen und pflegen (frage)
besser: die kastanien kartoffeln auf dem feuer einfach vor sich hin braten lassen (frage)
besser: den schülern schülerhaftes den lehrerinnen und lehrern lehrerhaftes (antwort?)
besser: den köchinnen schmackhaftes den schustern und tischlern die ihnen angemessenen leisten (antwort?)

2

erziehung ist vor allem auch sache der lesebücher
angebot nachfrage das so gemusterte land erholungs/ermüdungsland wachland schlafland
das so gemusterte dürftige kleidungsstück übergeworfen mit der bitte um nachsicht
jedoch ohne nachzusehen ob es sich schickt ob es paßt verschönt
und dann bei passender gelegenheit vielleicht sogar wahrscheinlich einen weiteren brauchbaren zipfel erhaschen
vater staat in nöte bringen (pater noster hilf!) mit hilfe von mutter natur
informationen verlangen über meeresgrund mondoberfläche venusfliegenfalle
über zweckmäßiges benehmen in brenzligen situationen
wenn die traube reif die taube bereit die brüste steif in badeanzügen vor der hintertür

3

erziehung ist vor allem auch sache der lesebücher
ist da persönliche anrede gänzlich verboten
formal oder existentiell Sie bleibt Sie du bleibt du
in englisch sprechenden ländern fällt eine solche unterscheidung leider flach
an sich doch egal ob du schlägst oder Sie schlagen du fällst oder Sie fallen
hier folgen wir den hiesigen regeln von anstand und sitten
schlagen Sie bitte auf s. 135 bd. 1 lesebuch hiesiger höherer schulen

4

ein x-beliebiger satz bringt uns der maschine näher
die formlose form ist zerstört der leser gebunden
ein x-beliebiger satz verhindert erweitert erklärt verklärt verdirbt läßt funktionieren
ein gehirn hinter glatter stirn unter dicken zöpfen etwa
ein gehirn bald über und über gespickt mit winzigen nadeln pulsierenden stichen
auch die letzten weißen flecken werden von dieser landkarte schon morgen verschwunden sein
erfahrungen sind begrenzbar durch den schmerz (frage)
der in den lesebüchern enthaltene schmerz ist unbegrenzbar (antwort?)

5

sie erheben sich unaufgefordert
schnaufend erheben sich von selbst die jungen stiere
sie stellen sich auf und blähen die zungen
sie stellen die rauheit der zungen zur schau sich selbst aber nicht in frage
steht das in den lesebüchern (frage)
beim lesen erhebt man sich unaufgefordert (antwort?)
die stiere drücken die planken um
die stiere sind selbst der lesbare text das ratlose publikum selbst der rat

6

bedrängnisse hysterien hypochondrien hypertrophien
die trophäen längeren lebens wahren lebens in jedem raum
ich schärfe mein bewußtsein an fiktiven hörnern
ich lasse mich von fiktiven hörnern widerstandslos durchbohren
tot ist nur der ort der sich mit ihnen beschäftigt
alles andere lebt in der badewanne weiter
das gehäuse dampft das innere ist ungestraft rein

(oktober 1968)

Dienstag, 1. März 2011

F-01 BECKETTS KIESEL

Ich hab keine Kiesel
in den Taschen wie Beckett, wenn ihn
die Lust zum Lutschen überfällt.
Doch hätt ich welche, hätt ich keine
Bedenken, sie wahllos zu lutschen:
mir ginge es nicht um Zahl, Bezeichnung,
Zirkulation; auch nicht um eine Methode
der größeren Gerechtigkeit:
Kiesel sind rund, glatt, bald körperwarm,
geben ein angenehmes Geräusch von sich,
wenn sie einander berühren; Kiesel
sind keine Individuen, weinen nicht,
machen keine Revolution,
sind zweckmäßig und austauschbar.
Es gibt elegante und handfeste
Lösungen: Beckett hat sie alle
ausprobiert. Er hat einen Text geschrieben
über angenommene Kiesel
in angenommenen Taschen
mit einer angenommenen Gerechtigkeit;
ich aber will etwas Reales,
das sich auch zum Lutschen eignet:
einen Strohhalm, einen Hemdzipfel,
einen Daumen, eine Warze;
oder eben einen wirklichen Kiesel,
als Begleiter, Ballast, Geschoß:
den kann ich auch lutschen
oder schlucken oder herschenken,
mir immer der Folgen bewußt,
oder einfach vergessen.

(15.7.1981)

(Erschienen in: Friede den Männern, Residenz Verlag, 1982)

Montag, 28. Februar 2011

0025 - DIE ANDERE SEITE DES KÖRPERS

die andere seite des körpers
ist ein endlos dunkles höhlengewirr
ist ein kalksteingebirg unbestiegen

die andere seite hält sich für alle
befremdungen bereit ist kühl & mädchenhaft
matrosengesichtig & ohne harm

die andere seite nähert sich nicht
geht nicht weg sie sticht streitet
um existenz & ist doch nicht angreifbar

(13.8.1968)

Sonntag, 27. Februar 2011

0024 - LÄRM

wenn die nasenstimme in
die ohrenstimme umklappt
wenn pfeifen eindringt &
seufzer ausbrechen wenn die rote
kavalkade mit ihren hufen auftrommelt
wenn sich die empfindlichen häute
zum platzen anspannen
wenn die wimpern geräuschlos vibrieren &
blicke unmöglich machen
wie umwandeln den lärm
feindlicher energie in sprühende wärme
wie dich umarmen

(11.8.1968)

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