0025 - DIE ANDERE SEITE DES KÖRPERS
ist ein endlos dunkles höhlengewirr
ist ein kalksteingebirg unbestiegen
die andere seite hält sich für alle
befremdungen bereit ist kühl & mädchenhaft
matrosengesichtig & ohne harm
die andere seite nähert sich nicht
geht nicht weg sie sticht streitet
um existenz & ist doch nicht angreifbar
(13.8.1968)
Daß ich nicht mehr derjenige bin, der das damals geschrieben hat, stört mich nicht. Im Gegenteil: es ist eine gewisse Attraktion, auf diese Weise zu erfahren, wozu ich fähig war und wozu nicht, welchen Einflüssen ich unterlegen bin, auf welche Weise diese zutrage treten usw. Dazu kommt noch die Erinnerung, die sich mit einem bestimmten Datum verbinden mag, das damalige Erlebnissubstrat, die damalige Gestaltungsabsicht.
Es spielt sicher auch eine Rolle, daß ich wissen wollte, ob und wovon ich mich distanzieren muß, weil es mich etwas aus meiner jetzigen Sicht befremdet. Ich wollte mich dieser Erfahrung bewußt aussetzen, daß es für mich etwas sehr weit Zurückliegendes gibt, dessen Lektüre eine Vielfalt von Gefühlen erzeugen kann, im Rahmen von Scham, Zweifel oder auch Identifikation, und das auf dem Hintergrund des Verlangens nach Kontinuität und einer oft geforderten - auch geförderten Weiter-Entwicklung.
@E.A.Richter.
Scham, Zweifel oder auch Identifikation entstehen, jedenfalls bei mir, immer dort, wo die Faktur fehlerhaft war und es geblieben ist. Das gilt, glaube ich unterdessen, sogar dort, nämlich verstärkt, wo das lyrische Ich sehr deutlich konturiert ist - ein anderes Ich als das unserer konkreten Biografien.
1. Ja, das ist genau der Fall: daß mich die früher anscheinend eigene Sprache befremdet. Bei mir ist es tatsächlich die Mutter-Sprache, denn mir wurde immer versichert, ich hätte zuerst nach der Schrift zu sprechen gelernt, das in dörflicher Umgebung.
In diesem Zusammenhang hat mich interessiert, nach welcher Schrift denn? Es gab in unserem Haus keine Bücher, jedenfalls nicht bis zum Schulbeginn. Vielleicht rührt von diesem Mangel an Schriftlichkeit eine gewisse Schreibmanie her bzw. – später – ein Aufzeichnungszwang von scheinbaren Alltäglichkeiten, der zwischdendurch – oft jahrelang – zurückgeschraubt worden war oder beinahe ruhend wurde, wenn das Faktische – das „wahre Leben“ – zu sehr überhand nahm.
2. Was ist das Eigene und was das Fremde? Wem gehört das eine, wem das andere? Woher kam das Fremde, wie wurde es transformiert? Und: wurde es je ein Eigenes?
Ich erlebe diese Eingemeindungsversuche von der jeweiligen Gegenwart aus als Oszillieren. Das Fremde ist nie ganz fremd; das Eigene nie ganz eigen. Es bedarf immer auch einer Definitionsanstrengung und eines Willens dazu, der sich jetzt etwa in diesem Archivierungsprojekt manifestiert, das jedoch zugleich eine Entblößung darstellt, die über die Alltagserniedrigungen und –entblößungen hinausgeht, diese aber wiederum kommunikativ relativiert.
3. Oft gibt es Momente der Fremdheit in der Sprache – etwa solche des Außer-sich-Seins, die sich in einer immer verbesserungswürdigen Faktur niederschlagen, damit aber auch die Chance zu einer konstruktiven Konturierung des lyrischen Ichs eröffnen, das dem biographischen Ich aufsitzt, ohne es zu erdrücken.
4. Ich erlebe einen Zuschuß an Leben aus der Vergangenheit, obwohl es eine fremde oder auch nur befremdliche ist. Ich suche keine Spuren, sondern Manifestationen von Augenblicken, blitzartigen oder über Monate und Jahre andauernden.
5. Seltsamerweise ist es mir derzeit nicht möglich, wie gesprochen zu schreiben. Ich liebe die atemgesteuerte gesprochene Sprache, die sich jetzt nicht einstellen will. Ich empfinde einen entstellten Rhythmus, kann diesen aber nicht korrigieren.
Erklärung: Wahrscheinlich sitzt mir noch der Schreck in den Gliedern darüber, daß die Energiesparlampe im Wohnzimmer – vielleicht eine Quecksilberdampfleuchte - funkensprühend explodierte und ich mich darauf eine Weile in der Dunkelheit eine Weile ziemlich hilflos fühlte, weil ich nicht wußte, wo ich eine Taschenlampe bzw. Zünder finden könnte.